Was sind Wertungswidersprüche im Alterssicherungsrecht Ost ???


1. Vorbemerkung:


1.1. Den Begriff „Wertungswidersprüche“ sucht man wie viele andere für das Alterssicherungsrecht Ost geprägte, von der Wissenschaft bislang nicht untersuchte Begriffe („gesetzliche Novation“, „Zahlbetragsgarantie“, „Auffüllbeträge“, „besondere Beitragsbemessungsgrenze Ost“, Rentenstrafrecht u. a. m.) in Lexika oder Rechtswörterbüchern für die Bürger (z. B. in „Deutsches Rechtslexikon“ Bd. 3 3. Auflage Beck Verlag, in Creifelds Rechtswörterbuch, C.H.Beck, München) vergebens.

Der Begriff drückt aus, dass die Wertungen der Lebensleistungen und Versicherungsansprüche, die sich aus den Vorschriften für bestimmte Gruppen von Rentnern ergeben, im Vergleich zu den sich aus den gleichen oder anderen Vorschriften ergebenden Wertungen für vergleichbare Gruppen von Rentnern ungerechtfertigte Unterschiede bzw. Widersprüche enthalten, mit denen die Betroffenen – nach Auffassung der Gesetzgeber und der Behörden sowie der Gerichte (soweit sie entsprechend entschieden haben!) – leben müssten.

Die Betroffenen hingegen halten viele dieser Widersprüche für ungerecht. Sie sind der Überzeugung, dass Widersprüche solcher Art, die das Verhältnis Ost zu West betreffen, nicht nur den Einigungsvertrag sondern vor allem auch die verbindlichen Vorgaben des Grundgesetzes und der Europäischen Menschenrechtskonvention, den Schutz des Eigentums sowie die Gebote des Gleichheitssatzes und das Verbot der Diskriminierung verletzen.

1.2. Den in der Öffentlichen Meinung systematisch verbreiteten Lügen darüber, dass die Bürger aus der ehemaligen DDR als Rentner „Gewinner der Einheit“ wären und mehr Rente als die Bürger aus den alten Ländern erhalten würden, muss mit Fakten entgegengetreten werden, wobei gleichzeitig sowohl die Widersprüche innerhalb der Alterssicherungssysteme Ost und West als auch die innerhalb der jeweiligen Systeme bestehenden Ungerechtigkeiten offen gelegt werden müssen, um unzutreffenden Behauptungen als der Politik entgegentreten zu können.

Dazu veröffentlichen wir nachfolgend Beispiele, die aus unserer Praxis stammen. Es ist darauf hinzuweisen, dass die aus der DDR gekommenen Betroffenen nicht eine schematische Gleichsetzung ihrer Alterseinkünfte mit denen der vergleichbaren Kollegen aus den alten Ländern verlangen: Mit ihren Anträgen wollen sie die Anerkennung ihrer rechtmäßig in der DDR erworbenen und als Eigentum in die Bundesrepublik mitgebrachten Alterssicherungsansprüchen erreichen – und die liegen generell wesentlich unter den Alterssicherungsansprüchen westdeutscher Bürger.

1.3. Für den Vergleich von Ost und West werden nur die tatsächlichen Zahlbeträge aus der Rentenversicherung und aus den Betriebsrenten, besonders der VBL, sowie der Beamtenversorgung berücksichtigt und miteinander verglichen. Aus dem Vergleich heraus fallen von vornherein also

für die aus der DDR gekommenen Bürger die bis 1990 gewährten geldwerten Leistungen, die im Alterssicherungssystem der DDR die Renten nach der dortigen Situation wesentlich aufgestockt haben; sie gingen spätestens mit dem Beitritt der DDR ersatzlos verloren (z. B. die zu 50% ermäßigten Eintrittspreise bei Kultur- und Sportveranstaltungen, die Verminderung der Fahrpreise in öffentlichen Verkehrsmitteln, die günstigen Preise für Lebensmittel und Dienstleistungen sowie der Schutz vor Kündigung der Wohnung und die Nutzung der betrieblichen sozialen und kulturellen Einrichtungen);

für die aus den alten Bundesländern stammenden Bürger ihre umfänglichen neben den Versicherungs- und Betriebsrenten (VBL, Beamtenversorgung u. a.) erheblichen Einnahmen aus Vermögen und Betrieben, aus Miete und Pacht, aus Aktien und Wertpapieren u. a. m. Die Bürger aus den neuen Länder haben solche Zusatzeinkünfte in der Regel nicht, die jedoch bei einem realen Vergleich der Alterseinkommen und des Lebensniveaus berücksichtigt werden müssten.

1.4. Gleichzeitig bitten wir die Leser, das Material kritisch zu betrachten und zu helfen, gegebenenfalls unzutreffende Angaben zu korrigieren und unvollständige Darstellungen durch weitere Zahlen und Beispiele über Ungerechtigkeiten und Ungereimtheiten aus ihren Erfahrungen zu ergänzen: Entsprechend Hinweise werden in Überarbeitungen aufgenommen werden.


2. Wertungswidersprüche als Ausweis von Ungerechtigkeiten bei der
Renten- und Versorgungsüberleitung.

 

Derzeit erhalten Rentner, die aus der DDR gekommen sind, gemäß Rentenüberleitungsgesetz (RÜG) nur eine verminderte Versichertenrente als Gesamtalterssicherung, die bei früherer Mitgliedschaft in Versorgungssystemen ca. 30% der vergleichbaren westlichen Alterseinkünfte bei grundsätzlich vergleichbaren Lebensleistungen und Versicherungsverhältnissen sowie Zusagen für die Alterssicherung erreicht. Dabei sind auch schon die Unterschiede zwischen Rentnern mit DDR-Ansprüchen, wie die folgende Übersicht zeigt, unverhältnismäßig, nicht nur die Unterschiede Ost zu West.

Ein Bestandsrentner mit Ansprüchen aus der DDR erhält nach uns vorliegenden Beispielen als

ehemaliger LPG-Vorsitzender aus 92,2500 PEP-Ost     (höchstes Ergebnis!)     2.094,08 €,

ehemaliger Ingenieur im VEB aus 88,8000 PEP-Ost                                          2.015,76 €,

ehemaliger Hauptmann der Volkspolizei aus 75,2210 PEP-Ost                          1.707,52 €,

das Gesamtalterseinkommen eines Betroffenen, der Zugangsrentner aus
1999 ist (ehem. Generaldirektor), erreicht aus 55,2381 PEP-Ost nur                           1.352,34 €,
das sind ca. 740 € weniger, als der ehemalige LPG-Vorsitzenden erhält.

Anspruchserwerbszeiten aus der DDR und anschließend aus der Bundes-
republik erbringen für einen Zugangsrentner aus der technischen Intelligenz,
leitender Ingenieur (trotz FZR-Mitgliedschaft)
zum 01.07.04 monatlich einem Zahlbetrag von nur                                                 1.027,58 €.

Im Unterschied dazu erhält ein leitender Ingenieur aus den alten Ländern als
Gesamtalterseinkommen ca.                                                                                       4.421,00 €,
ein Akademiker aus den alten Ländern als C-4-Professor ca.                                      5.053,00 €
[1],
ein ehemaliger Minister um ca.                                                                            10.000,00 €

sowie ein dem ehem. Generaldirektor aus der DDR vergleichbarer Funktionär
aus den alten Bundesländern ausgehend von seinen unvergleichlich höheren
Einkünften aus Wirtschaftsunternehmen entsprechend vielfach höhere Altersbezüge
zumeist neben millionenschwerden Abfindungen und anderen Leistungen.

Schon ein Hauptfeldwebel der Bundeswehr mit dem für einen Ruhege-
haltsanspruch niedrigsten Dienstgrad erreicht ab 01.08.2004 wesentlich
(314 €!) mehr als der genannte „Ost-Generaldirektor“, nämlich netto              
1.666,21 €[2].

Wertungsunterschiede begegnen uns überall im Überleitungsrecht, sie bestehen
auch bei ehemaligen Leistungssportlern aus der DDR; für sie bringen 12 Jahre
als Leistungssportler in den 60er und 70er Jahren nach dem RÜG trotz entspre-
chend vergleichbarer staatlicher Zusicherungen

im privaten Bereich, z. B. an der Deutschen Hochschule für Körperkultur
und Sport in Leipzig, keinen einzigen Entgeltpunkt                                                =        0,00 €,

im Bereich des Ministeriums für Staatssicherheit 12 Entgeltpunkte (Ost)                =    275,64 €,

bei der Deutschen Volkspolizei / Volksarmee bis 20 Entgeltpunkte (Ost)              =    459,40 €.


Ein besonders Beispiel für ungerechte Maßnahmen betrifft die ehemaligen Ballettmitglieder. Ihnen war nach dem DDR-Recht für die Zeit nach Abschluss ihrer Karriere als Tänzerinnen und Tänzer (also ab Eintritt ihrer Berufsunfähigkeit!) bis zum Beginn des Rentenalters eine berufsbezogene Zuwendung (bbZ) zugesichert, die eine Art einer Berufsunfähigkeitsrente darstellt, die angesichts des besonders anstrengenden Berufs, der nur bis zur Mitte des Lebens ausgeübt werden kann, erforderlich ist. Sie machte monatlich 50% des damals sehr niedrigen DDR-Monatseinkommens aus, das meist zwischen 500 M und 800 M lag. Zum 01.01.92 wurde den ehemaligen Ballettmitgliedern diese bbZ / Berufsunfähigkeitsrente ersatzlos entzogen, sie erhalten trotz des mit dem Einigungsvertrag zugesicherten

Eigentums-, Bestands- und Vertrauensschutzes seitdem                                              =           0,00 €.


Ein Angehöriger der technischen Intelligenz der DDR, dessen Zusatzversorgungsanwartschaft in der Bundesrepublik nicht mehr anerkannt wird, erhält für die Erwerbszeit vom 01.03.71 bis 30.06.90 nach der vom RÜG rückwirkend eingeführten Beitragsbemessungsgrenze Ost (als Monatseinkommensanteil werden maximal 600

M angerechnet!) z. B. aus 40,8330 Entgeltpunkten Ost (01.12.04)                             =       860,60 €.


Am Ende der Skala stehen u. a. auch die Krankenschwestern und weitere Beschäftigte aus dem DDR-Gesundheitswesen mit zumeist um                                                            = 700 – 800 €.

Ähnlich eingeordnet sind auch ehemalige Mitarbeiter der Deutschen Reichsbahn
und der Post der DDR sowie, bei Bestandsrentnern, jene Rentnerinnen, deren
Rentenwert durch so genannte Auffüllbeträge, Renten- oder Übergangszuschläge
drastisch vermindert wurde, obwohl ihnen durch den Einigungsvertrag eine Zahl-
betragsgarantie als Realwertgarantie zugesichert worden war: Ihre Renten liegen
noch niedriger, wie z. B. bei einer LPG-Bäuerin, 11 Kinder, Rentnerin seit 1989:
Deren Rente beträgt nach weitgehender Abschmelzung ab 01.07.2001                       =      575,00 €.


Entsprechende Wertungswidersprüche betreffen auch Rentner, die rehabilitiert worden sind, weil sie in der DDR rechtsstaatswidrig strafrechtlich verfolgt oder beruflich benachteiligt worden waren. Z. B. wurde ein Professor 1971 aus politischen Gründen gefeuert, anschließend als Ingenieur im VEB (Gehalt ca. 1.700 M statt zuvor ca. 3.500 M) bis 1990 weiter beschäftigt und wegen einer Verfolgungszeit von 20 Jahren rehabilitiert. Die nach der beruflichen Rehabilitierung berechnete Rente ist allerdings ca. 100 DM geringer als die zuvor berechnete, die ihm dann jedoch weitergezahlt wurde
[3]. Diese und andere Verwerfungen werden auch durch die Einführung der „Opferrente“ seit 01.09.07 nicht beseitigt.



Berlin, 15.09.07

RA Dres. Christoph



[1] Vgl. S. 12, Ost-West-Vergleich, in „Gemeinsames Positionspapier der Akademikerverbände … zu weiterhin offenen Problemen der Altersversorgung für die Akademiker/innen in den neuen Bundesländern vom 11.07.2002, 2. überarbeitete Fassung.

[2] Vgl. die Übersicht in „Die Bundeswehr“ 9/2004 S. 31.

[3] Das DDR-Rehabilitierungsgesetz (September 1990) ersetzte der Deutschen Bundestag durch ungünstigere Regelungen!