KOPIE 11011
Berlin
Zu den Bundestagsdebatten 2008/09
Sehr geehrte Abgeordnete des Deutschen Bundestages,
Das
ist ein Erfolg der Betroffenen. Sie haben ihre berechtigten Forderungen
beharrlich in Petitionen und Schreiben an die Bundeskanzlerin, an die
Fraktionen und an Sie als Abgeordnete, aber auch in Klagen an die Gerichte
herangetragen. Auch durch schockierend abweisende Antworten bzw. Entscheidungen
haben sie sich nicht beirren lassen[4]. Dadurch
ist eine neue Situation entstanden: Wie Sie wissen, haben
Vertreter aller Parteien zugesichert, sich nach den Wahlen 2009 im neuen
Bundestag unverzüglich mit den Ostrentenproblemen zu befassen[5]. Nun
wird erwartet, dass die Kandidaten im Wahlkampf das öffentlich gegebene
Versprechen bekräftigen und es dann im Bundestag umsetzen. Z. Zt. besteht aber
noch ein brisanter Klärungsbedarf: Wo liegen die Ursachen für die
Ungerechtigkeiten, die 20 Jahre nach dem Beitritt der DDR Millionen
beigetretene Bürgerinnen und Bürger bedrücken? Welche Festlegungen muss ein
neues Gesetz treffen, damit die Ursachen beseitigt und die Probleme geklärt
werden können? Hat Herr Klaas Hübner Recht, der namens der
SPD-Fraktion ein „ganzheitliches, umfassendes Rentenüberleitungsabschlussgesetz“
forderte? (vgl. Stenogr. Bericht v. 28.05.09, S. 24607ff.). Zur
Konzeption eines solchen Gesetzes gibt es extrem gegensätzliche Auffassungen.
Die einen meinen, die „Rentenüberleitung“ wäre eine einmalige
Erfolgsgeschichte, die anderen, dass sie ein einmaliger Betrug gegenüber den
ehemaligen DDR-Bürgern sei[6].
Manche Abgeordnete sind der Auffassung, dass die DDR an dem Desaster schuld
wäre, andere sehen die Schuld beim Gesetzgeber, der mit dem RÜG den
Einigungsvertrag, das Grundgesetz und die EMRK gebrochen hat. Während Sie als Bundestagsabgeordnete jedoch
inzwischen überzeugt sind, dass Ungerechtigkeiten existieren, die überwunden
werden müssen, meinen Richter noch immer, dass alles in Ordnung wäre. Anträge
auf höhere Renten sowie auf Nachprüfung der Bescheide und der zugrunde
liegenden Gesetze halten sie für rechtsmissbräuchlich. Sie nutzen sogar als
„Missbrauchsgebühren“ bezeichnete Geldstrafen[7], um
Druck auf die Antragsteller und Anwälte auszuüben. Das
bringt keinen Rechtsfrieden, zumal die ehemaligen DDR-Bürger zu nachhaltig
diskriminiert werden: Entgegen offiziell gebilligter Informationen, dass die
Ostdeutschen schon mehr Rente als die Westdeutschen erhalten würden[8], erreicht
das Alterseinkommen Ost zwei Jahrzehnte nach dem Mauerfall nur 30% bis 60% des
Alterseinkommens vergleichbarer Bürgerinnen und Bürger aus den alten Ländern
mit vergleichbarem Arbeitsleben. Auch eine schrittweise
Annäherung der Lebenslage Ost an West ist damit dauerhaft ausgeschlossen. Das
RÜG und der Bruch des Einigungsvertrages, des GG, und der Europäischen
Menschenrechtskonvention (EMRK) haben einen Schandfleck im
Einigungsprozess geschaffen. Angesichts
der verbreiteten Altersarmut im Beitrittsgebiet[9] und
des dortigen wirtschaftlichen und sozialen Niedergangs nach der Liquidierung
wichtiger Betriebe[10]
empört
es die Betroffenen, wie oberflächlich die Debatten geführt und mit welchen unhaltbaren
Behauptungen ihre Anträge abgewiesen wurden. Als Ausgangspunkte dafür wurden
Ihnen, den gewählten Abgeordneten, von der Regierung und von „Sachverständige“
getürkte Zahlen und fehlerhafte Einschätzungen vorgelegt. Die DDR wird als
Unrechtsstaat bezeichnet, in dem es für die Bürger kein Recht gegeben hätte,
und für die miserablen Ostrenten sei die DDR verantwortlich. Um
Missverständnissen vorzubeugen ist zu betonen: Es geht ihnen um die Anerkennung
der in der DDR rechtmäßig erworbenen Ansprüche, nicht um eine schematische
Gleichsetzung mit den Ansprüchen vergleichbarer Kollegen aus den alten Ländern. Unsere
o. g. Stellungnahmen, die dem Ausschuss am 19.01.09 und 04.05.09 vorgelegt wurden,
sowie unsere anderen Veröffentlichungen und die Fakten werden schlicht
negiert: Die Wahrheit über das DDR-Alterssicherungsrecht und über den Bruch des
Einigungsvertrages durch das RÜG[11] wird verborgen
gehalten. Uns ist klar: Als Abgeordnete können Sie sich in dem unüberschaubaren
Regelungslabyrinth nicht zurechtfinden, das mit dem RÜG fabriziert und von den Gerichten vertieft wurde sowie
jetzt von Regierung und Sachverständigen verteidigt wird. Das
RÜG und die meisten Entscheidungen dazu beruhen auf einem falschen Datengerüst
und auf fehlerhaften Darstellungen der Sach- und Rechtslage in der DDR (vor dem
Mauerfall und danach) sowie nach Abschluss des Einigungsvertrages: Die
„Alterssicherung Ost“ besitzt keine solide Basis, sie besteht aus einem Chaos
ungerechter Regelungen, die 18 Jahre nach Beschlussfassung über das RÜG zum
Abwracken bereit stehen. Auch hier gilt: Ist das Fundament fehlerhaft, kann
kein solides Gebäude darauf errichtet werden. Zur
Überwindung des derzeitigen Desasters sollten Sie im Bundestag zunächst die
Ursachen klären: Auf Grundlage des vom Konzept her falschen RÜG können
Ausgangspunkte für die konzeptionelle Neuregelung nicht gefunden werden. Ihr
Bemühen, Veränderungen zu erreichen, bedarf neuer Grundlagen, wie auch
Beispiele aus letzter Zeit beweisen.
Die
Betroffenen hatten in der DDR günstigere Ansprüche aus dem dortigen komplexen
Alterssicherungssystem erworben. Dazu gehörten die Ansprüche aus der
SV, aus zusätzlichen Versorgungssystemen und aus der FZR, die eine
Gesamtversorgung gewährleisten konnten. Diese Ansprüche wurden gemäß der
Position von Prof. Papier[14]
durch das RÜG enteignet und durch erheblich geringerwertige
SGB-VI-Versichertenrentenansprüche „ersetzt“ („gesetzliche Novation“[15]),
die maximal von einem Monatsverdienst von 600 Mark der DDR ausgehen. Für die Anspruchserwerbszeit
vom 01.03.1971 bis zum 30.06.1990 führt das z. B. zu 14,7089 PEP-Ost und damit
zu einen Rentenanteil vom 343,31 €. Das führt z. B. ehemalige Angehörige der
technischen Intelligenz der DDR, deren Mitgliedschaft im zusätzlichen
Versorgungssystem derzeit nicht anerkannt wird, ebenso wie ehemalige
Krankenschwestern, die z. B. seit 2002 Rentnerinnen sind und denen die
entsprechende Anwendung des Steigerungssatzes von 1,5% verweigert wird, und
viele andere in die Altersarmut mit Monatsrenten von 650 bis 950 €. Nun
sollen die Geschädigten durch eine Nachversicherung eine Erhöhung der gerade
„neu gewährten“ Versicherungsrentenansprüche erreichen können: Das verstehen
sie nicht[16]. Und: Wer soll das bezahlen??
Werden
die weiteren für die Rentner in der DDR lebenswichtigen Teile der
Alterssicherung Ost nicht berücksichtigt, die mit der Wirtschafts-, Währungs-
und Finanzreform ab dem Beitritt ersatzlos zum Nachteil der aus der DDR gekommenen
Rentner liquidiert wurden, kommt man – wie der Staatssekretär – zu einer
falschen Einschätzung der Situation der DDR-Rentner, zu ihren aus der DDR
mitgebrachten Rechte sowie zur Rolle des RÜG. Es
verdeckt das Problem, das für alle Ostrentner durch das RÜG geschaffen worden
ist: Die Liquidierung
(Enteignung) aller Alterssicherungsansprüche aus der DDR und die rückwirkende
Berechnung einer SGB VI-Versicherungsrente nach der minimierten fehlerhaft
bestimmten so genannten Beitragsbemessungsgrenze Ost und nach davon abgeleiteten
ebenfalls fehlerhaften Werten (Eckrente Ost u. a.). Ein günstigeres
Ergebnis ist nach dem RÜG nur erreichbar, wenn Zeiten der Mitgliedschaft in
zusätzlichen Versorgungssystemen bzw. in der FZR vorliegen. Aber auch in diesem
Falle werden maximal die DDR-Einkünfte bis zur allgemeinen Beitragsbemessungsgrenze
berücksichtigt: Kein ehemaliger DDR-Bürger erhält eine Rente, die, wie für westdeutsche
Rentner selbstverständlich, durch zusätzliche Einkünfte aus Betriebsrenten- u. a.
Systemen zu einer lebensstandarderhaltenden Gesamtversorgung aufgestockt werden
könnte.
Herr
Lehrieder und andere Bundestagsabgeordnete erhielten offensichtlich auch keine
ausreichenden Informationen über die Funktionen des RÜG. Das Gesetz war
geschaffen worden, um die Überführung der nach der Regierungsauffassung zu
günstigen Rentenleistungen aus der DDR zu verhindern[24]. Die
Initiativen seiner Fraktion für Rentenkürzungen und auch für das Rentenstrafrecht
verstoßen gegen alle Rechtsgrundsätze, auch gegen die Grundsätze der christlichen
Ethik und Moral sowie auch der Logik. Sie führten u. a. dazu, dass die deutsche
Gesetzgebung international erneut diskreditiert wurde, indem das so genannte 1.
AAÜG-ÄndG mit der Abweisung des Antrags der Fraktion DIE LINKE bekräftigt wurde
(vgl. Drs. 16/7035 v. 07.11.07).
6.
MdB Herr Dr. Gregor Gysi, DIE LINKE,
zog für die Vorlagen seiner Fraktion zwar redegewandt zu Felde. Er benannte
aber weder den Ausgangspunkt für die Benachteiligungen, die gesetzliche
Novation, noch stellte er konkrete Gesetzgebungsanträge vor, deren
Annahme zur Überwindung des Unrechts führen würde (abgesehen vom Entwurf eines
2. AAÜG-ÄndG, Drs. 16/7035 vom 07.11.2007 zur Beseitigung
rentenstrafrechtlicher Bestimmungen). Zudem ist seine Aussage falsch, „dass
viele durch die Überleitung einen höheren Rentenanspruch erhalten haben, als
sie ihn in der DDR je erworben hätten“[26]. Sie
erinnert an Urteile des BSG aus den Jahren 1993 bis 1999, in denen das Gericht
eine in Zeiten von Wirtschafts-, Währungs- und Finanzreformen unsinnige „Nominalwertgarantie“
für Ostrentner beschwor – die vom BVerfG im Leiturteil vom 28.4.1999 zu
Recht verworfen wurde. Dr.
Gysi hat offensichtlich nicht erkannt, dass tatsächlich keine Rentenüberführung
erfolgt ist: Alle Alterssicherungsansprüche aus der
Sozialversicherung der DDR, den zusätzlichen Versorgungssystemen und der FZR
wurden, wie oben erläutert, liquidiert (gesetzliche Novation, s.
o.). Ab 01.01.92 wurden diese unterschiedlichen Ansprüche „ersetzt“ durch rückwirkend
zudem noch verminderte Versichertenrentenansprüche allein aus dem SGB VI[27]! Die
Bezeichnung „Überführung“ verschleiert die Wirklichkeit: Am 01.01.92 hatten
etwa 4 Millionen Rentner/-innen Anspruch auf die Zahlbetragsgarantie
(Einigungsvertrag Art. 30). Die Neuberechnung ergab für die meisten, bei Frauen
waren es ca. 80% (!) der Betroffenen, wesentlich geringere Zahlbeträge. Sie
erhielten nun so genannte Auffüllbeträge gemäß § 319 SGB VI, die z. T. 1.000 DM
monatlich ausmachten. Deren Wertmindernde „Abschmelzung“ ist noch nicht beendet[28]. Am
01.01.1995 erhielten von damals 3.150.997 Versichertenrentnern 2.110.151, also 67%,
Auffüllbeträge[29].
Diese
Verfahrensweise ersparte der Rentenversicherung vom 01.01.1992 bis zum
31.12.2002 Leistungen in der unvorstellbaren Höhe von 26,59 Mrd. Euro
(aus 52 Mrd. DM)[30]! Die
von den „Einsparungen“ Betroffenen waren zumeist Frauen mit geringen Renten, zu
denen auch die Angehörigen der besonders benachteiligten Gruppen gehören:
Krankenschwestern und andere Beschäftigte des Gesundheits- und Sozialwesen
sowie in der DDR Geschiedene und Geschiedenenwitwen sowie LPG-Bäuerinnen. Sie
hätten das ihnen nach der Zahlbetragsgarantie zustehende Geld dringend für die
Erhaltung des Lebensstandards benötigt.
Mit
der These vom Unrechtsstaat und von der „Zweiten Deutschen Diktatur“ sowie von
den damit verbundenen Absichten setzt sich Ralph Hartmann auseinander[33]. Er
benennt als eine Quelle den ehemaligen Justizminister Klaus Kinkel[34], der
1991 den Richtern und Staatsanwälten der Bundesrepublik vorgab: „Ich baue auf
die deutsche Justiz. Es muss gelingen, das SED-System zu delegitimieren, das
bis zum bitteren Ende seine Rechtfertigung aus antifaschistischer Gesinnung,
angeblich höheren Werten und behaupteter absoluter Humanität hergeleitet hat,
während es unter dem Deckmantel des Marxismus-Leninismus einen Staat aufbaute,
der in weiten Bereichen genauso unmenschlich und schrecklich war wie das
faschistische Deutschland.“ Hartmann
stellt dazu fest, „selten hat ein Mitglied der Bundesregierung die enge
Verbindung zwischen der Gleichsetzung von NS-Regime und „Unrechtsregime“ der
DDR sowie Delegitimierung, Kriminalisierung der DDR und politischer
Strafverfolgung so offen und so präzise dargelegt wie Kinkel.“ Hartmann
erläutert in seinem Buch die Kinkelschen Positionen zu den Grundfragen dieser
Politik-Richtung und zum Bruch des Einigungsvertrages sowie des GG und legt auch
andere aus dem Faschismus herrührende Quellen solcher Positionen offen
(DDR-Legenden bes. Seiten 11 bis 24). Im
Übrigen stellte Frau Michalk viel Unzutreffendes zusammen[35]. Sie
berief sich auf die vom BVerfG schon am 28.4.99 als fehlerhaft erkannte „Privilegiertentheorie“
(BVerfGE 100, 1ff.) und bekräftigte das inzwischen bereits zweimal vom BVerfG
(ohne Beteiligung des wegen Gefahr der Befangenheit von der Mitwirkung
suspendierten Präsidenten Papier!) als verfassungswidrig verworfene, dann aber durch
eine kuriose gesetzgeberische Fehlleistung, das so genannte 1. AAÜG-ÄndG, erneut
„gerettete“ Rentenstrafrecht. Ein solches Herangehen, das letztlich auf
der Unrechtsstaatsthese beruht, kann keine Lösung für die mit dem RÜG
geschaffenen Konflikte bringen. Dazu sind andere Denkansätze nötig. Wir können inzwischen in der Unrechtsstaatsthese den Ausdruck
eines Syndroms erkennen, von dem nicht wenige erfasst sind und das in
neuer Form die „Grundtorheit unserer Epoche“, den Antikommunismus,
widerspiegelt. Hier offenbart sich eine panische – aber unbegründete! -
Angst vor jedem, der Träger sozialistischen Gedankenguts – und
Täter im Unrechtsstaat gewesen sein könnte, weil er aus der DDR kam[36]. Sehr geehrter Herr Ausschussvorsitzender, Sehr geehrte Abgeordnete des Deutschen Bundestages, der für die Veränderungen in der Welt und die
Notwendigkeit des friedlichen Zusammenlebens aller Bürger verständnislose
Antikommunismus steht weder mit christlichen Grundsätzen noch mit sozialen oder
gar sozialistischen Positionen in Einklang. Er befördert vielmehr Intoleranz
und geradezu krankhafte Voreingenommenheit gegenüber den aus der DDR gekommenen
Bürgern und vertieft die Spaltung Deutschlands in zwei unterschiedliche Sozial-
und Rechtsordnungen. Das auf die Kategorien „Unrechtsstaat“, „Täter“ und
„Opfer“ reduzierte Denken droht derzeit, die WAHRHEIT als
Ausgangspunkt für tragfähige gerechte Lösungen im Einigungsprozess zu verdrängen.
Im
Dienste der Wahrheit und der Menschenrechte sind wir gern bereit, die Tatsachen
sowie die Grund- und Menschenrechte, auf denen unsere Positionen und Vorschläge
beruhen, Ihnen in Gesprächen und in Beratungen in Ihren Gremien sowie in
Gutachten zu erläutern, Ihnen also zu allen hier gegebenen Problemfragen Rede
und Antwort zu stehen. Mit
freundlichen Grüßen gez. Christoph gez. Christoph
Anlage |
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