DEUTSCHER BUNDESTAG                                         Ausschussdrucksache 16(11)1361

Ausschuss für

Arbeit und Soziales                                                                                                         4. Mai 2009

16. Wahlperiode

 

Information für den Ausschuss

zum Gesetzentwurf der Abgeordneten Dr. Martina Bunge u. a. und

der Fraktion DIE LINKE

 

Entwurf eines Zweiten Gesetzes zur Änderung des Anspruchs- und

Anwartschaftsüberführungsgesetzes (2. AAÜG-ÄndG) - Drucksache 16/7035 –

 

sowie 16 Anträge der Abgeordneten Dr. Martina Bunge und weiterer Abgeordneter

sowie der Fraktion DIE LINKE zur

 

Alterssicherung Ost / Renten und Versorgungsüberleitung Ost

- Drucksachen 16/7019 bis 16/7034 -



Rechtsanwälte Dr. Karl-Heinz und Dr. Ingeborg Christoph:



Zu den zur Anhörung zur Rentenfragen Ost vorliegenden Anträgen der Partei DIE LINKE legen wir als Bevollmächtigte von Bürgern, die sich gegen die negativen Auswirkungen des Rentenüberleitungsgesetzes wehren, die folgende Stellungnahme vor.

 

Es wird begrüßt, dass die Anträge seit langem anstehende vielfältige Rentenprobleme aufgreifen.

 

Das zitierte Buch „Das Rentenüberleitungsgesetz und die Herstellung der Einheit Deutschlands“ sowie unsere Mandanteninformationen und andere Materialien zu der schwierigen Materie sind über das Internet unter www.rentenrecht.de und www.ostrentner.de zugänglich.

 

In Übrigen sind wir gern bereit, unsere Standpunkte zum RÜG, zu dem Gesetzentwurf und zu den weiteren Anträgen der Partei DIE LINKE sowie zu den bekannt gewordenen Vorschlägen der anderen Oppositionsparteien und zu angrenzenden Fragen der Alterssicherung Ost in der Sitzung oder in anderen Zusammenkünften genauer zu erläutern.

 

Zur öffentlichen Anhörung zu den Anträgen der Partei DIE LINKE legen wir im Auftrag von Bürgern, die vom Rentenüberleitungsgesetz betroffen sind, die nachfolgende Stellungnahme vor.

 

A.

 

1. Die Anträge greifen wesentliche Komplexe der seit langem anstehenden Probleme der Alters-sicherung Ost auf. Die Anträge sind instruktiv. und sollten bestätigt werden. Ergänzend muss jedoch eine genauere Erörterung der Ursachen  erfolgen, die zu den Verwerfungen im Einigungsprozess und zu den Ungerechtigkeiten im Rentenrecht geführt haben. Erst das ermöglicht, realisierbare Maß-nahmen für Gesetzgebung und Verwaltungspraxis zu erarbeiten.

 

2. Am 28.04.99, vor genau 10 Jahren scheiterte das Rentenüberleitungsgesetz vor dem Bundes-verfassungsgericht. In einer Koordinierungsberatung der Anwälte wurde am 28.04.2009 mit Interessengemeinschaften und Organisationen Betroffener Bilanz gezogen, was die Urteile damals brachten und was heute daraus geworden ist.

 

Damals stellte das Gericht nach 8 Jahren harter Auseinandersetzungen fest, dass die Kürzungs-regelungen des RÜG verfassungswidrig sind1. Den Betroffenen stehen danach für ihre in der DDR

1 BVerfGE 100, 1-194.

erworbenen Ansprüche Eigentums-, Bestands- und Vertrauensschutz zu. Hunderttausende Bürger er-hielten höhere Alterseinkünfte und Nachzahlungen für die Zeit ab 01.08.91. Das kam den Betroffenen und ihren Familien sowie den Kommunen und Ländern, der Kaufkraft und der Wirtschaft zugute.

 

Heute ist festzustellen, dass die Urteile hinsichtlich der Grundsatzfragen nicht umgesetzt worden sind und für die damals nicht unmittelbar Betroffenen die meisten Ungerechtigkeiten des RÜG beibehal-ten wurden. Die heutige Beratung des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung wäre überflüssig, wenn nach dem Leiturteil die in der DDR bundesdeutschen Alterssicherungssysteme, z. B. als Lehrer in die VBL, ohne Diskriminierung aufgenommen worden wären.

 

Entsprechendes gilt auch für diejenigen, die erst später Rentner geworden sind bzw. noch Rentner werden: Das Eigentum aus der DDR konnte nicht „verfallen“, und die Verbindlichkeiten aus sozialen Sicherungssystemen der DDR wären in voller Höhe zu erfüllen gewesen (vgl. BVerfGE 100, 1 [49], auch: LPG-Kreditvertragsurteil2).

 

3. Es war Auffassung des Gesetzgebers, der Regierung und der höchsten Gerichte, solche Auswir-kungen zu verhindern. Die Entwicklung der Renten- und Versorgungsüberleitung seit der Wende wurde dadurch eine „Wende rückwärts“3. Den drei historisch zu nennenden Urteilen des 1. Senats des BVerfG unter Vorsitz von Bundesverfassungsrichter Prof. Dr. Grimm fehlte gegen die geballte Staatsgewalt die notwendige Durchschlagskraft: Den Senatsurteilen wurde der Gehorsam verwei-gert4.

 

 Seitdem besteht der Grundkonflikt für die Alterssicherung Ost darin, dass die 99-er Urteile den Betroffenen Eigentumsschutz gewährten, während Prof. Papier den Betroffenen im Sinne des Rentenüberleitungsgesetzes diesen Schutz verweigert.

 

Der damals neue Präsident des BVerfG, Prof. Dr. Papier, war wegen der Gefahr der Befangenheit von der Teilnahme an diesen Urteilen suspendiert worden. 1994 hatte er in einem Auftragsgutachten der Regierung das RÜG mit den Thesen untermauert, dass den ehemaligen DDR-Bürgern für Renten- und Versorgungsansprüche kein Eigentumsschutz zu gewähren wäre, zumal sie keine Beiträge für Renten in der Bundesrepublik gezahlt hätten und nach den Grundsätzen des Fremdrentengesetzes behandelt werden müssten. Seine Positionen hat Prof. Papier in dem zusammen mit Detlef Merten in dem 2006 herausgegebenen „Handbuch der Grundrechte in Deutschland und Europa“5 zur Frage „Schutz übergeleiteter DDR-Renten?“ (S. 45) erneut bekräftigt6. Er wandte sich prinzipiell gegen die Urteile vom 28.4.99 und verwies auf Urteile des BVerfG zu dem aus dem Jahr 1960 stammenden Fremdrentengesetz. Prof. Papier setzte sein Konzept, das er immer wieder in der Öffentlichkeit verkündete, z. B. im Grundgesetz- Kommentar Maunz/Dürig ebenso wie in dem o. g. Handbuch, in späteren Entscheidungen des BVerfG durch.

 

Fasst man die Positionen von Prof. Papier zusammen, sieht er die ehemaligen DDR-Bürger hinsichtlich ihrer in der DDR erworbenen Alterssicherungsansprüche als rechtlos an: Nur die minimierten Ansprüche, die ihnen nach dem Beitritt „großzügig“ gewährt werden, würden dem Schutz des GG und der EMRK unterliegen. In den Augen der betroffenen Bürger, die den Mauerfall bewirkt und danach bis zum Beitritt eine rechtsstaatliche Ordnung aufgebaut haben7, wirkt das grotesk und wirklichkeitsfremd. Es widerspricht dem Einigungsprozess in Deutschland, bei dem, offensichtlich auch gerade wegen solcher Rechtspositionen, vieles, wie kürzlich die Bundeskanzlerin und auch der SPD-Vorsitzende festgestellt haben, schief gelaufen ist: Bislang konnte weder die innere Einheit noch die Rechtseinheit unseres Landes hergestellt werden.

 

 

2 Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 8.4.1997, 1 BvR 48/94 (LPG-Kreditvertrags-Urteil).

3 Wende rückwärts: Das BVerfG und die berufsbezogene Zuwendung an Ballettmitglieder der DDR“, Dr. Werner Mäder, Leitender Senatsrat i. R., Berlin, Neue Justiz 2003 Heft 3 S. 124f.

4 Jan Thiessen, „Zahlbetragsgarantie und Rentendynamisierung“, Neue Justiz Heft 9 aus 2000 S. 456 ff.

5 D.F.Müller Verlag Heidelberg, Band II: Grundrechte in Deutschland: Allgemeine Lehren.

6 Vgl. im Einzelnen Zitate und Erläuterungen dazu in der Mandanteninformation 03/09; wird veröffentlicht in www.ostrentner.de

7 Vgl. z. B. Gesetz zur Änderung und Ergänzung der Verfassung der Deutschen Demokratischen Republik (Verfassungsgrundsätze) vom 17.6.1990, GBl. Der DDR Teil I Nr. 33 S. 299 f.

4. Seitdem stützt sich die Staatsgewalt nicht mehr auf die Urteile des 2. Senats oder auf für die Betroffenen günstige Gutachten (Prof. Merten, Dr. Simon, Prof. Rürup), sondern nur noch einseitig auf das Konzept von Prof. Papier und das RÜG (einschließlich des Rentenstrafrechts) sowie auf neue unter seinem Vorsitz gefasste Beschlüsse.

 

Eine Klärung der gegensätzlichen Positionen zum Eigentum Ost und zu anderen Behauptungen (die Bürger hätten nichts eingezahlt, Fremdrentenrechtsgrundsätze müssten angewandt werden) ist bislang weder durch wissenschaftliche Untersuchungen noch durch Begründungen von Entschei-dungen der Gerichte erfolgt. Den Feststellungen von Prof. Papier fehlen bislang eine nach-vollziehbare Begründung und der Bezug zur Gegenwart: Das Konzept der Urteile vom 28.4.1999 wurde schlicht durch entgegengesetzte Behauptungen in neuen Entscheidungen ersetzt. Das besitzt keine Überzeugungskraft:

 

Ihre Aufgabe als Abgeordnete ist, dafür zu sorgen, dass die bisher versäumten wissenschaftlichen Auseinandersetzungen über das Eigentum Ost und über die Rechte der Bürger endlich nachgeholt werden, damit Sie künftig sachkundig entscheiden können.

 

Derzeit versucht die Staatsgewalt, die Betroffenen zu nötigen, von ihren Forderungen abzulassen. Wer als Betroffener oder Anwalt trotzdem Anträge vor den Gerichten stellt, die sich auf Positionen der Urteile vom 28.4.1999 stützen, dem wird vom SG, LSG oder BVerfG eine als Missbrauchsgebühr bezeichnete Geldstrafe (§ 192 SGG bzw. § 34 BVerfGG) auferlegt. Das soll sie nötigen, solche Anträge zu unterlassen, damit es bald keine Prozesse gegen die Ungerechtigkeiten der Renten- und Versorgungsüberleitung mehr gibt. Diese Geldstrafen werden von den Richtern willkürlich, ohne sie begründen zu müssen, festgelegt. Rechtsbehelfe dagegen sind nicht vorgesehen. Rechtsfrieden kann jedoch mit Zwang, wie uns die Geschichte lehrt, nicht hergestellt werden.

 

5. Um die öffentliche Meinung gegen die Grundsatzurteile und die Positionen der Betroffenen zu manipulieren, werden absurde Behauptungen verbreitet:

Die ostdeutschen Rentner8 wären die Gewinner der Einheit, sie hätten in die Bundesrepublik und insbesondere in das Sozialsystem West nichts eingezahlt, und es gelte für sie eine besondere Beitragsbemessungsgrenze Ost von 600 M der DDR. Dazu gehört auch die Behauptung, die Ostfrauen erhielten eine höhere Rente als die Westfrauen (vgl. dazu die Ausschussdrucksache des Bundestagsausschusses für Arbeit und Soziales Nr. 16(11)1266 vom 19.01.09, enthalten auch in der Mandanteninformation 01/09 in www.ostrentner.de), u. a. m.

 

6. Wir wissen: Immer wieder analysieren z. B. Angehörige der technischen Intelligenz, in der DDR Geschiedene Frauen und Beschäftigte des Gesundheitswesens, „Professoren neuen Rechts“ sowie andere Betroffene eingehend ihre ab Eintritt in das Rentenalter unzumutbare Situation, die durch Renten an der Armutsgrenze entsteht. Sie glauben zunächst zumeist, bei der Rentenberechnung habe man sich getäuscht. Dann kommt die Vermutung, die bisherigen Verfechter einer günstigeren Renten-gestaltung hätten nicht das notwendige Argumentationsgeschick entwickelt, um die Abgeordneten und Beamten sowie die Richter zu überzeugen. Sie meinen: Wenn die Verantwortlichen die Situation kennen würden, würden sie nicht billigen, dass z. B. früher hoch angesehene Angehörige der technischen Intelligenz mit hervorragenden Lebensleistungen heute Minirenten in Höhen zwischen 600 und 900 € (!) erhalten! Oder dass die Renten ehemaligen Krankenschwestern oder Beschäf-tigten des Sozialwesens, früheren LPGBäuerinnen mit mehreren Kindern, Lehrerinnen und Lehrern oder selbständiger Gewerbetreibender und deren mithelfende Ehegatten u. a. m. nach einem über 40jährigen erfüllten Arbeitsleben Altersarmut bescheren, oder dass Ballettmitgliedern die als berufsbezogenen Zuwendung bezeichnete Berufsunfähigkeitsrente, die sie erhalten, wenn ihre Körper den unerhörten Anstrengungen des Berufs nicht mehr gewachsen sind, zum 01.01.92 ersatzlos gestrichen wurde.

 

 

8 Bleiben wir ruhig bei diesem Begriff: So werden die ehemaligen DDRBürger häufig unkorrekt benannt, aber jeder weiß, wer gemeint ist!

So haben manche Ingenieure eine nach menschlichem Ermessen logisch zwingende Beweiskette aufgebaut, nach der ihren Anträgen auf höhere Renten stattgegeben werden müsste – wenn es nach Lebensleistung und Versicherungsansprüchen, nach Logik und Vernunft, nach Recht und Gesetz im Einigungsprozess gehen würde.

 

Danach geht es aber nicht: Sie scheitern alle mit ihren Anliegen vor den Gerichten und im Bundes-tag. Den Verantwortlichen sind die Gründe gleichgültig: Sie entscheiden nach ihren Vorgaben. Sie lassen sich durch die in der Realität bestehenden geradezu unfassbaren Ungerechtigkeiten nicht beirren. Schuld sei an allem ohnehin die DDR, der „Unrechtsstaat“, der den Betroffenen keine ange-messenen Ansprüche gewährt hätte. Die Anfragen und Anträge führen in der Regel nicht einmal zu einem Dialog über das bestehende Unrecht: Hat doch die Regierung mehrfach festgestellt, dass alles in Ordnung wäre und dass es keine Ungerechtigkeiten und keinen Gesetzgebungsbedarf geben würde9. Im Übrigen, so wird erklärt, wäre die Bundesrepublik nicht verpflichtet, Ungerechtigkeiten oder Verfassungsverstöße aus DDR zu korrigieren. Das lenkt einerseits davon ab, dass die Bundes-republik angetreten war, rechtsstaatliche Verhältnisse für die DDR-Bürger besser durchzusetzen als die DDR – und es verschleiert andererseits, dass die Ungerechtigkeiten bei den Alterseinkom-men nicht auf Nachwirkungen des DDR-Rechts sondern auf Auswirkungen der Rentenüberlei-tungsgesetzes beruhen.

 

Neben den Begründungen der vorliegenden Anträge beweisen das auch unsere unter www.ostrentner.de veröffentlichten Materialien einschließlich der Zusammenstellung über Wertungswidersprüche im Rentenrecht in unserer Mandanteninformation 01/08.

 

7. Als Argument für die Beibehaltung der Enteignungen wurde auch erklärt, dass eine Anerkennung der Zusicherungen des EV nicht finanzierbar wäre. Es werden keine Informationen dazu gegeben, dass den späteren Transferleistungen von West nach Ost im Einigungsprozess eine umfassende Enteig-nung und Entrechtung der ehemaligen DDR-Bürger und eine Privatisierung des Volkseigentums an Bürger aus dem Westen Deutschlands und aus anderen Ländern – also nicht an ehemalige DDR-Bürger! - sowie eine maßlose Bereicherung der Bundesrepublik und bundesdeutscher Unternehmen vorausgegangen ist. Eine Bilanz darüber fehlt bis heute (vgl. das Material von Herrn Bauer darüber wird demnächst in www.ostrentner.de zugänglich gemacht),

    dass inzwischen Millionen junge in der DDR gut ausgebildete Bürger in die alten Länder gegangen

    sind, dort ihre Renten- und andere Versicherungsbeiträge (z. B. für die VBL) sowie Steuern zahlen,

    und dass diese Gelder in ihrer Heimat, den östlichen Bundesländern, nun für die Alterssicherung

   ihrer Eltern nicht mehr zur Verfügung stehen.

 

Auch das nahmen der Gesetzgeber und die Behörden sowie die zur Amtsermittlung verpflichteten Richter bislang nicht zur Kenntnis. Sie werten es nicht einmal als Anlass für weitergehende Ermitt-lungen. Berechnungen von Wissenschaftlern ergaben, dass allein durch die Abwanderung Humankapital im Wert von zumindest einer Billionen (= tausend Milliarden) Euro in den Westen gelangt ist. Die Differenz in der Bilanz der Einnahmen und Ausgaben der Rentenversicherung der alten zu den neuen Ländern wies z. B. 2004 ca. 11 Mrd. € plus für die alten und für die neuen Länder ca. 12 Mrd. € minus aus. Eine entsprechende Umverteilung läuft auch bei Steuern und Abgaben.

Eine angemessener Finanzausgleich für diese noch nie da gewesene besondere Situation fehlt bislang. Ergänzend  ist an die inzwischen reichhaltige Literatur zu den Problemen der „Kolonialisierung“ und Ausplünderung der DDR und ihrer Bürger erinnert. Stellvertretend benennen wir das instruktive Buch von Herrn Baale: „Abbau Ost“10. Auch solche Bücher wie die „Kolonialisierung der DDR“ (Villmar), „Was kostet die Wiedervereinigung“ (Wenzel), „Was war die DDR wert“ (Wenzel) oder den „Treuhandreport“ (Luft) u. v. a. m. werden von den Entscheidern nicht zur Kenntnis genommen.

 

 

 

 

 

9 U. a. Antwort auf die Große Anfrage der Fraktion DIE LINKE, a.a.O. (Drs. 16/5418, S. 33-34 zu Frage 64).

10 Olaf Baale: Abbau Ost, Lügen, Vorurteile und sozialistische Schulden. Deutscher Taschenbuch Verlag GmbH München 2008.

 

Herr Bauer, Gewerkschafter aus Erfurt, fand z. B. „bei der Suche nach Material zur Eigentumsent-wicklung der Beitrittsbürger eine komplexe Zusammenfassung in „Die Schulden des Westens – Wie der Osten Deutschlands ausgeplündert wird““. Dort belegen die Autoren Klaus Blessing, Eckard Damm und Matthias Werner schon bis zum Jahr 2000 einen Schuldensbetrag des Westens gegen-über dem Osten von über 7 Billion DM.

 

8. Zur Betrachtung der „Beitragsfrage“ von Prof. Papier ist folgendes festzustellen: Mit der Wieder-vereinigung Deutschlands kamen die Mitglieder der Sozialversicherung und anderer Alterssicherungs-systeme der DDR, die einer großen Solidargemeinschaft mit vielen Millionen Beitragszahlern und gleichzeitig mehreren Millionen Anspruchsberechtigten in der DDR angehörten, in die entspre-chende Solidargemeinschaft der Bundesrepublik Deutschland. Seit dem Beitritt finden sie sich zusammen mit ihren westdeutschen Kollegen in der nun um viele Millionen Mitglieder angewach-senen gesamtdeutschen Solidargemeinschaft wieder. So haben die Rentner bzw. Leistungsempfänger aus der DDR als Garantie für die Leistungsfähigkeit dieses größer gewordenen Solidarsystems(dem Generationenvertrag entsprechend), in das sie als Mitglieder ihres Solidarsystem gleichberechtigt integriert worden sind, die Beitrags- und Steuerzahler gleich mitgebracht: Aus den Beitragszahlungen und Steuern derer, die noch nicht Rentner sind, ergibt sich die Finanz- und Organisationsbasis für die Renten- und Versorgungsleistungen an die Ostrentner, nicht aus irgendwelchen angesparten Mitteln oder aus dem Vermögen der Rentenversicherung West oder des Steuersystems West.

 

Im Übrigen ergibt sich, weil in der DDR das Verhältnis von Rentnern zu Beitragszahlern günstiger war als in den alten Ländern, durch den Beitritt ein Nutzen und nicht eine höhere finanzielle Belastung der Rentenversicherungs- und anderen Leistungsträger, z.B. der VBL:

 

Die größer gewordene Solidargemeinschaft der Bundesrepublik unterliegt keiner einseitigen Belastung durch die Leistungsempfänger aus der ehemaligen DDR, weil ihr gleichzeitig mit den Millionen neuen Leistungsempfängern auch Millionen neue Beitrags- und Steuerzahler als Garanten für die Befriedigung der als Eigentum mitgebrachten Renten- und Versorgungs-ansprüche zugewachsen sind.

 

Jede andere Betrachtung geht an der Wirklichkeit vorbei: Hier ist nichts zu finden, was mit den Leistungen nach dem Fremdrentengesetz und mit früheren, ein halbes Jahrhundert zurückliegenden Uraltentscheidungen des BVerfG verglichen werden könnte.

 

B.

 

1. In der Koordinierungsberatung am 10. Jahrestag der Grundsatzurteile vom 28.4.1999 wurde der Vorschlag für ein 8-Punkte-Programm für die Alterssicherung Ost vorgelegt. Es wurde von den Teilnehmern als Grundlage für die weitere Tätigkeit auf diesem Gebiet bestätigt.

 

Eine Voraussetzung für ein modernes Alterssicherungsrecht in Deutschland ist, dass die Renten- und anderen Alterssicherungsansprüche in Ost und West im Wesentlichen einheitlich gestaltet werden. Der erste Schritt dazu muss die Überwindung der Altersdiskriminierung der aus der DDR gekommenen Bürger und die Schaffung eines dem westdeutschen Alterssicherungsrecht in den Grundsätzen entspre-chenden Alterssicherungsrechts im Beitrittsgebiet sein, das über ein Rettungspaket Alterssicherung Ost  abzusichern ist, damit nicht dauerhaft, wie bereits derzeit, ca. 50% derer, die im Beitrittsgebiet Rentner werden, in Altersarmut geraten.

 

2. Mit einem Appell an den Staatspräsidenten, den Bundestagspräsidenten, die Bundeskanzlerin und den Präsidenten des Bundesverfassungsgerichts sollen die Politiker aufgefordert werden, zu einer wahrheitsgemäße Information über die Alterssicherung Ost und über die Anerkennung der Lebensleistungen der aus der DDR gekommenen Bürger beizutragen. Es muss endlich mit der Irreführung über die Alterssicherung Ost Schluss gemacht werden. Die Spitzenpolitiker können z. B. mit ihren Reden viel tun, die gängigen bisher tolerierten inhaltlich jedoch Neid und Missgunst bewirkenden Fehlinformationen zu unterbinden. Sie sollten erklären, dass in einem Rechtsstaat nicht geduldet werden kann, dass prinzipiell gleiche Lebensleistungen auf Grundlage vergleichbarer Versicherungsansprüche zu Wertungswidersprüchen führen, wie sie in Deutschland, insbesondere im Vergleich Ost zu West, derzeit bestehen  (vgl. dazu die Dokumentation der Mandanteninformation 01/08).

 

3. Die Abgeordneten sollten unverzüglich die Schaffung einer Härtefallregelung zur Verminderung der Benachteiligungen der Angehörigen der am schwersten betroffenen Gruppen veranlassen (Punkt 2 des Programms). Es gibt Gruppen besonders nachteilig Betroffener, für die noch immer keine einzige Ausnahmeregelung für mehr Einzelgerechtigkeit geschaffen worden ist. Solche Regelungen, die vom Parlament beschlossen und die für den Einzelfall vor Gericht durchsetzbar sein müssen, betreffen besonders

    ehemalige Ballettmitglieder, deren BU-Rente zum 01.01.92 ersatzlos liquidiert wurde,

    frühere Beschäftigte des Gesundheits- und Sozialwesens sowie Frauen mit Minirenten, die z. B. als

    Geschiedene den Versorgungsausgleich fordern, deren eigene Rentenansprüche aber nicht

    ordnungsgemäß berücksichtigt werden, Frauen aus Landwirtschaft u. a. m.,

    Witwen, denen der Eigentums-, Bestands- und Vertrauensschutz für die Versorgung des Ehegatten

    nach dessen Tod mit dramatischen Folgen für ihr Lebensniveau genommen wurde,

    Jene, die – mit drastischen Auswirkungen für ihre Familien! – noch immer im Rentenstrafrecht

    gehalten werden.

 

4. Vorgeschlagen wird, eine ALTERNATIVE UNABHÄNGIGE UNTERSUCHUNGSKOMMIS-SION DEUTSCHE EINHEIT 2009 zu gründen. Dazu könnten vorab Unterkommissionen gegründet werden für das Alterssicherungsrecht Ost sowie für die Herstellung eines seriösen Geschichtsbildes von der DDR und ihren Bürgern. Sie müssen gegen die Verbreitung von Missgunst und Neid zwischen Teilen der deutschen Bevölkerung so gerichtet sein, wie es in dem vor einem Monat im Roten Rathaus diskutierten Projekt für ein Museum zum Kalten Krieg mit dem Leitmotiv vorgesehen ist: JENSEITS DER FEINDBILDER.

 

5. Schließlich geht es um die Erarbeitung und Vorlage eines Entwurfs für ein Renten- und Versor-gungsüberleitungskorrekturgesetz (Ziffer 7 des Programms). Das RÜG, das schon 1999 gescheitert war, muss durch ein neu konzipiertes Gesetz abgelöst werden, das die übergreifenden Grundfragen der Alterssicherung Ost behandelt, die in den 17 Anträgen der Partei DIE LINKE und in den Vorlagen bzw. Anträgen der Oppositionsparteien bislang noch nicht ausreichend berücksichtigt worden sind. Vor der schrittweisen Vereinheitlichung des Alterssicherungsrechts Ost mit West ist die Klärung der Fragender Renten- und Versorgungsüberführung unverzichtbar, die alle aus der DDR gekommenen Bürger betreffen.

 

Eine nachvollziehbare Überführung der in der DDR rechtmäßig erworbenen Alterssicherungs-ansprüche erfolgte bislang nicht11. Die Realisierung der vom Einigungsvertrag gewollten einfachen Verfahrensweise zur Anspruchsüberführung wurde versäumt. Stattdessen wurden mit dem Rentenüberleitungsgesetz komplizierte, unüberschaubare und unkontrollierbare – schon deshalb verfassungswidrige! – Regelungen geschaffen, die den Betroffenen andere geringerwertige Anwartschaften/Ansprüche über viele Jahrzehnte rückwirkend „gewährten“.

 

Für die Betroffenen sind die Regelungen unverständlich. Sie beruhen zudem auf fehlerhaften Ausgangszahlen, Berechnungen und Einschätzungen. Das führt zu unkorrekten Rentenbescheiden und zu unerträglichen Wertungswidersprüchen zwischen den Renten /Rentnern. All das wurde inzwischen nachgewiesen (vgl. u. a. Mandanteninformation 01/08 unter www.ostrentner.de).

 

 

 

 

 

11 Vgl. dazu: Das Rentenüberleitungsgesetz und die Herstellung der Einheit Deutschlands, Hrsg. Dr. Ingeborg Christoph und Dr. Karl-Heinz Christoph. Dr. Wilke GmbH Verlag & Vertrieb Berlin 1999, veröffentlicht auch unter www.rentenrecht.de.

 

Unter den genannten Voraussetzungen ist es den Abgeordneten, wie auch die Plenardebatten zur Alterssicherung Ost gezeigt haben, derzeit nicht möglich, eine ausgewogene Einschätzung der tatsächlichen Lage vorzunehmen, konstruktiv Alternativen zu erörtern und tragfähige Gesetzgebungsvorschläge vorzulegen. Um Entscheidungen, die Lebensfragen von Millionen Menschen berühren, treffen zu können, müssen den Abgeordneten zur Vorbereitung sachliche und überschaubare Informationen vorgelegt werden.

 

Sofort möglich und erforderlich ist die Bestätigung des Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur Änderung des Anspruchs- und Anwartschaftsüberführungsgesetzes (2. AAÜG-ÄndG) in der Drucksache 16/7035 vom 07.11.2007. Im Übrigen empfehlen wir zu veranlassen, dass der Bundestages die Regierung beauftragt, unter Einbeziehung Betroffener unverzüglich einen Entwurf für ein Renten- und Versorgungsüberleitungskorrekturgesetz unter Berücksichtigung der Anträge der Oppositionsparteien zu erarbeiten und dem Bundestag unmittelbar nach der Neuwahl vorzulegen.

 

C.

 

1. Abschließend ist festzustellen, dass eine Versachlichung der Debatte über die Alterssicherung Ost angesichts der insgesamt angespannten Situation dringend geboten ist.

 

2. Seit fast 2 Jahrzehnten wurde durch irreführenden Informationen über die Renten- und Versor-gungsansprüche der Bürger, die aus der DDR in die Bundesrepublik Deutschland gekommen sind, eine öffentliche Meinung erzeugt, die mit der Wirklichkeit nichts mehr zu tun hat. Aufgrund der tatsächlichen Benachteiligung von Millionen Rentnern und des Verschweigens der tatsächlichen Probleme haben sich Enttäuschung und Empörung angestaut. Das kann nur überwunden werden, wenn ein radikaler Schnitt gemacht wird.

 

Eine auf wissenschaftlichen Erkenntnissen beruhende Neuorientierung ist unumgänglich. Wird das versäumt, wird nicht nur der bereits eingetretene Vertrauensverlust verstetigt: Die Auswirkungen auf das Lebensniveau der Bürger in den neuen Bundesländern sowie auf die soziale und wirtschaftliche Lage werden unbeherrschbar. Die von der Bundeskanzlerin und von dem SPD-Vorsitzenden beklagten Probleme des Einigungsprozesses und die geforderte Anerkennung der Lebensleistungen der Bürger, die aus der DDR gekommen sind müssen in der realen Politik aufgegriffen werden: Die hier genann-ten Vorschläge gehören dazu.

 

04.05.09