Dr. Karl-Heinz Christoph
Dr. Ingeborg Christoph
Rechtsanwälte

 

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10318  Berlin
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Infos.: www.ostrentner.de


APPELL
[1]


 Herr Bundespräsident Christian WULFF,

Frau Bundeskanzlerin Dr. Angela MERKEL,

Herr Präsident des Bundestages Prof. Norbert LAMMERT,

Herr Präsident a. D. des Bundesverfassungsgerichts Prof. Hans-Jürgen PAPIER,


wir appellieren als betroffene Rentner und Rechtsanwälte an Sie, sich für eine angemessene Alterssicherung für die aus der DDR gekommenen Bürger einzusetzen und so zu helfen, Gerechtigkeit und Wahrheit als Voraussetzungen für den inneren Frieden und für eine der Menschenwürde entsprechende Anerkennung ihrer Lebensleistungen im vereinten Deutschland durchzusetzen.

Im 20. Jahr nach dem Beitritt der Deutschen Demokratischen Republik zur Bundesrepublik Deutschland erwarten wir, dass wirksame Maßnahmen zur Überwindung der tiefer gewordenen Spaltung unseres Vaterlandes eingeleitet werden. Ziel muss sein, eine einheitliche soziale, wirtschaftliche und rechtliche Ordnung mit gleichen Grund- und Menschenrechten für alle Deutschen zu schaffen. Nach Gerechtigkeit und Wahrheit dürstend haben 1989 die DDR-Bürger die Wende vollbracht und ihre Verfassungsordnung rechtsstaatlich gestaltet. Heute erleben sie statt Anerkennung für die gewaltlos vollzogene historische Tat Verständnislosigkeit und Verdächtigungen, volksverhetzende Diskriminierungen, Schuldzuweisungen, Missgunst und eine schlimme Altersdiskriminierung.


Staatlich gebilligte Unwahrheiten und volksverhetzende Parolen gegenüber den aus der DDR gekommenen Bürgern
haben einen gefährlichen Unfrieden verursacht. Frech wird behauptet, die aus der DDR gekommenen Rentner wären Gewinner der Einheit: Ihre Renten seien schon höher als die der Rentner West, vor allem der dortigen Rentnerinnen. Die Wahrheit ist anders: Nach der Veruntreuung des DDR-Volkseigentums durch die „Treuhand“ hat die Bundesrepublik sich auch noch am persönlichen Eigentum der ehemaligen DDR-Bürger, an ihren Renten, vergangen. Alle Alterssicherungsansprüche aus der DDR wurden durch das Rentenüberleitungsgesetz (RÜG) liquidiert und durch geringerwertige auf die Sozialrente begrenzte Ansprüche „ersetzt“. Das führte zum 01.01.92 u. a. zu einer nachhaltigen Frauendiskriminierung: Die Zahlbetragsgarantie, vom Einigungsvertrag zum Schutz vor Altersarmut zugesichert, wurde beseitigt. Danach erhielten 1995 noch 83,6% der 2,061 Mio. Bestandsrentnerinnen abzuschmelzende „Auffüllbeträge“ (vgl.: Antwort der Bundesregierung vom 06.06.95, Drs. 13/1631). Von 1992 bis 2002 „sparte“ die Rentenversicherung auf Kosten dieser Frauen allein auf diese Weise 41 Mrd. DM ein.


Dieser rechtsstaatswidrige Sparkurs zu Lasten der Ost-Frauenrenten wurde für die nach 1995 beginnenden Renten dadurch weitergeführt, dass neue Rentnerinnen nur noch nach dem SGB VI / RÜG rückwirkend berechnete Renten in geringerer Höhe ohne Zahlbetragsgarantie und ohne Auffüllbeträge erhielten. Das machte jährlich ca. 3 Mrd. € weniger aus, als eine angemessene Überführung ihrer Ansprüche unter Einhaltung der Zahlbetragsgarantie diesen Frauen erbracht hätte. Der 2. Senat des Bundesverfassungsgerichts unter Vorsitz des damaligen Präsidenten, Prof. Dr. Papier, hielt das für angemessen (zu den Zahlenangaben vgl. die demütigende Abweisung der Anträge der Betroffenen durch den Nichtannahmebeschluss des BVerfG vom 11.05.05, 1 BvR 368/97). Der 1999 vom BVerfG bekräftigte Grundsatz des Einigungsvertrages, dass die Verbindlichkeiten aus sozialen Sicherungssystemen der DDR in ihrem Wert weiter gelten, wurde missachtet (Vgl. BVerfGE 100, 1, S. 49).


Zur „Öffentlichen Meinung“ wurde erhoben, die DDR wäre bankrott gewesen und hätte selbst die geringen Renten nicht mehr hätte bezahlen können. Andererseits wurden die DDR-Renten als zu üppig und das Rentensystem als zu kompliziert bezeichnet, das deshalb nicht ordnungsgemäß in die Bundesrepublik hätte überführt werden können.

Tatsächlich zeigen sich am weiteren Auseinanderdriften des Alterseinkommens und des Eigentums drastisch die wachsende Ungleichheit von Ost zu West und die Irreführung der Öffentlichkeit. Die ehemaligen DDR-Bürger erhalten nur ein bis zwei Drittel des Alterseinkommens ihrer nach den Lebensleistungen vergleichbaren Kolleg/Innen aus West. Z. B. ist das Ruhegehalt eines Bundeswehr-Hauptfeldwebels mit 2.039,92 € („Die Bundeswehr“ 2009, H. 8) höher als das Alterseinkommen eines Generals aus der DDR (1.200 bis unter 2000 €). Entsprechendes gilt für Minister oder Wissenschaftler, Ärzte, Lehrer oder Ingenieure u. a. m. Das monatliche Alterseinkommen ihrer westdeutschen Vergleichspartner beträgt 4.500 bis 9.000 €. Zudem unterfallen über 50% derer, die heute im Beitrittsgebiet Rentner werden – ob Mutter von 3 und mehr Kindern oder Angehöriger der technischen Intelligenz, ob Arbeiter, Bauer oder Gewerbetreibender – aufgrund des RÜG der Altersarmut. Sie sind auf staatliche Hilfsgelder angewiesen. Ergänzend weisen wir dazu auf unseren Brief vom 27.06.09 an die Abgeordneten des Bundestages hin (im Internet unter www.ostrentner.de – veröffentlicht).


Dieses Missverhältnis schädigt nicht nur die einzelnen Betroffenen und verhindert dauerhaft die Annäherung des Lebensniveaus Ost an West. Es verringert gleichzeitig die aus dem Alterseinkommen gespeiste Kauf- bzw. Wirtschaftskraft der Städte und Gemeinden Ost gegenüber West und lässt jährlich große neue Defizite entstehen, die auch durch hohe Zuschüsse an Ost nicht mehr ausgeglichen werden können.


Herrn Bundespräsident, Frau Bundeskanzlerin, Herr Bundestagspräsident und Herr Präsident a. D. des BVerfG, Sie sind mitverantwortlich für diese Situation. Wenn Sie unter Hinweis darauf von Bürgern gebeten werden, Veränderungen zu veranlassen, lassen Sie ihnen Ihr Mitgefühl - sowie Ihre Unzuständigkeit mitteilen und geben die Gesuche an das „zuständige Ministerium“ ab, das in Ihren Namen inkompetent-empörende Antworten verschickt.


Uns treibt die Frage um: Können Sie als die höchsten Repräsentanten unseres Staates wirklich nichts tun und sind Sie den Ungerechtigkeiten ebenso ausgeliefert wie die betroffenen älteren Bürger?

Die Hilfesuchenden wissen natürlich, dass SIE Gesetzesänderungen nicht dekretieren dürfen. Sind Sie deshalb aber zur Ohnmacht verdammt, wenn es gilt, rechtsstaatliches Handeln und „Gerechtigkeit gegen jedermann“ zu üben, wie es z. B. der Eid vom Bundespräsidenten verlangt?


Kraft Ihres Amtes können Sie zugunsten ungerecht behandelter Bürger Entscheidendes bewirken
und so, wenn Sie es nur wollen, Wahrheit und Gerechtigkeit im Staate durchzusetzen helfen!
Leider erhalten unbequeme Frager oft keine Antwort. Uns ging es so mit Briefen vom 01.01.08 und vom 20.01.08 an Frau Merkel, mit dem Brief vom 30.06.09 an Herrn Lammert, dem der Brief vom 27.06.2009 an die Abgeordneten beigefügt war, sowie mit Briefen vom 07.10.07 und vom 25.10.07 an Herrn Papier, der damals noch als Präsident des BVerfG amtierte. Kopien der Briefe fügen wir nun als Offene Briefe in der Erwartung bei, dass darauf öffentlich geantwortet wird, insbesondere, dass Sie in Ihren Reden und Erklärungen für die Anerkennung der Lebensleistungen und Versicherungsansprüche der ehemaligen DDR-Bürger Partei ergreifen.


Wir appellieren an Sie,
          
Herr Bundespräsident, Frau Bundeskanzlerin,
                                                Herr Bundestagspräsident und Herr Präsident a. D. des BVerfG,

auf diese Weise zu helfen, der Verbreitung von Lügen Einhalt zu gebieten und dadurch die politische Atmosphäre in unserem Land im Interesse der Herstellung der inneren Einheit zu entgiften. Das würde auch die Glaubwürdigkeit Deutschlands in der Welt erhöhen, wenn Sie ein verständnisvolles Aufeinanderzugehen von allen Bürgern fordern würden. Als gläubige Christen könnten Sie die Lehren Ihrer Religion gegenüber den Bürgern aller Glaubensrichtungen vorleben und das 8. Gebot beherzigen, „Du sollst nicht falsch Zeugnis reden wider deinen Nächsten“:

Sie sollten Position beziehen gegenüber der Verbreitung von Unkenntnis und Unverstand gegenüber der ehemaliger DDR und ihren Bürgern, wie das aufgrund der ungerechtfertigten Verteuflung der DDR zur Verletzung der Menschenwürde von aus DDR gekommenen Bürgern, zur Missachtung ihrer Lebensleistungen durch Kürzung ihres Alterseinkommens und zur Beibehaltung des Rentenstrafrechts geführt hat. Zu letzterem hatte bereits vor 16 Jahren im Dreßler namens der SPD erklärte, „Wir fordern die Abschaffung des Rentenstrafrechts…. um des Rechtsstaates willen“ (Bundestag, Plenarprotokoll v. 26.01.98, 13/15 S. 959).

Millionen Bürger haben in die DDR verantwortungsbewusst gearbeitet und gelebt, ihre Verheißung einer besseren Welt, ihre Friedenspolitik, aber auch ihre Fehler und den stalinistischen Dogmatismus kennen gelernt und mussten den von beiden Seiten gnadenlos geführten Kalten Krieg ertragen. Sie sind ebenso wie wir bereit, an der Aufklärung des Geschehens und seiner Auswertung für die Zukunft in einem besseren Deutschland mitzuwirken. Einer ständige Herabsetzung der DDR und ihrer Bürger, einer Entwertung ihrer Lebensleistungen und einer Missachtung ihrer Erfolge bei der Umgestaltung der DDR in einen demokratischen Rechtsstaat durch grundlegende Verfassungs- und Rechtsakte in der Zeit bis zum Beitritt am 03.10.90 müssen wir jedoch nachdrücklich entgegentreten. Das liegt im Interesse von Gerechtigkeit und Wahrheit bei der Betrachtung der deutschen Geschichte der jüngsten Zeit. Sollte nicht z. B. symbolisch für die Leistungen der DDR-Bürger bei der friedlichen Grenzöffnung am 09.10.90 jener Offizier, der verantwortungsbewusst das Richtige getan und den Übergang Bornholmer Straße geöffnet hat, ausgezeichnet werden – oder endlich wenigstens eine angemessene Alterssicherung erhalten?!


Sie wissen ebenso wie wir: Die Stimmung der Bürger befindet sich auf einem Tiefpunkt, sie erinnert an die Zeit vor der Wende in der DDR. Die Bürger müssen heute zur Kenntnis nehmen, dass der Spalt durch unser Vaterland und das gegenseitige Unverständnis, die Zerrissenheit unserer Heimat tiefer geworden sind. Die Bürger empfinden die Ungerechtigkeiten sowie die Halb- und Unwahrheiten immer stärker. Unzufriedenheit grassiert nicht nur im „Beitrittsgebiet“.

Wir appellieren an Sie,            Herr Bundespräsident, Frau Bundeskanzlerin,
                                   Herr Bundestagspräsident und Herr Präsident a. D. des BVerfG,

mit der Verbreitung der Wahrheit und der Entlarvung von Lügen und Halbwahrheiten über die Alterssicherung Ost einen Kurswechsel zur Veränderung der Politik im Einigungsprozess einzuleiten, damit endlich die Losung der Demonstranten aus der DDR von 1989, „Wir sind ein Volk!“, umgesetzt und die Wende aus dem Kalten Krieg in ein besseres Leben und Verstehen spürbar für alle Deutschen vollzogen werden kann[2].


Berlin, 10. Juli 2010

Dr. Ingeborg Christoph                                                  Dr. Karl-Heinz Christoph

 

 

Anhang zu dem Appell vom 10. Juli 2010:



Frau Bundeskanzlerin, Herr Bundestagspräsident und Herr Präsident des Bundesverfassungsgerichts a. D.,  Sie erhielten von uns folgende Briefe, die von Ihnen oder auch von Ihren Mitarbeitern nicht beantwortet worden sind:

 

1.      Brief vom 01.01.2008 an die Bundeskanzlerin Frau Dr. Merkel.

2.      Brief vom 20.01.2008 an die Bundeskanzlerin Frau Dr. Merkel.

3.      Brief vom 30.06.2009 an den Präsidenten des Bundestages, Prof. Lammert.

4.      Brief vom 27.06.2009 an die Bundestagsabgeordneten (über: Präsidenten des Bundestages, Prof. Lammert).

5.      Brief vom 07.10.2007 an den ehem. Präsidenten des Bundesverfassungsgerichts.

6.      Brief vom 25.10.2007 an den ehem. Präsidenten des Bundesverfassungsgerichts.




Kopien dieser Briefe haben wir nun als offizielle Dokumente zum Nachweis für unser Bemühen, zu den Grundsatzfragen der Renten- und Versorgungsüberleitung Ost einen angemessenen Dialog in Deutschland herbeizuführen, zusammen mit weiteren konkreten Informationen über die Situation der Alterssicherung der aus der DDR gekommenen Bürger aufgenommen in das Buch


„Bestohlen bis zum jüngsten Tag – Kampf dem Rentenabbau Ost“,

(Karl-Heinz Christoph, Das Neue Berlin, Berlin 2010).

 

Das Buch verfolgt ebenso wie der Appell das Ziel, die über lange Zeit verweigerte öffentliche Diskussion über die Alterssicherung Ost und die Altersdiskriminierung der aus der DDR gekommenen Bürger, insbesondere der Frauen, und damit insgesamt über die Anerkennung der Lebensleistungen dieser Bürger in Gang zu bringen.



[1] Der Appell ist veröffentlicht und erläutert in: Bestohlen bis zum Jüngsten Tag. Kampf dem Rentenabbau Ost. Karl-Heinz Christoph, Verlag Das Neue Berlin, Berlin 2010, Seiten 25 bis 30.

 

[2] Als Anlagen werden Kopien von nicht beantworteten Briefen, die an die hohen politischen Würdenträger gerichtet waren, sowie in dem gleichzeitig veröffentlichten Buch weitere aktuelle Materialien zur Alterssicherung Ost veröffentlicht. Hingewiesen wird ergänzend auf www.ostrentner.de und www.rentenrecht.de.