Frage 15.2.: Entschließung der Teilnehmer der Koordinierungsberatung vom 09.04.08.


Entschließung[1]


Der Einigungsvertrag und das Grundgesetz enthalten ein zwingendes Gebot zur Herstellung der inneren Einheit Deutschlands. Derzeit ist Deutschland ein zerrissenes Land[2]. Durch die soziale Missachtung Ostdeutscher, Eingriffe in ihr Eigentum und Massenarbeitslosigkeit wächst der Riss zwischen Ost und West sowie zwischen Wohlstand und Armut. Die Altersarmut als Teil dieser Entwicklung nimmt unaufhaltsam zu.

Die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte der UNO vom 10.12.1948 stellt in Übereinstimmung mit der Europäischen Sozialcharta vom 18.10.1961 sowie den beiden UNO-Menschenrechtskonventionen vom 16.12.1966 über bürgerliche und politische sowie über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte fest, dass „das Ideal vom freien Menschen, der frei von Furcht und Not lebt, nur verwirklicht werden kann, wenn Verhältnisse geschaffen werden, in denen jeder seine wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Rechte ebenso wie seine bürgerlichen und politischen Rechts genießen kann“.[3]

Bestandteil der sozialen Menschenrechte ist eine angemessene Alterssicherung. Hier bestehen gravierende Unterschiede zwischen Ost und West. Durch das Rentenüberleitungsgesetz (RÜG) sowie durch Entscheidungen von Regierung, Behörden und Gerichten sind die in der DDR erworbenen Alterssicherungsansprüche/–anwartschaften liquidiert worden[4]. An deren Stelle wurden geringerwertige Versichertenrentenansprüche/-anwartschaften beschränkt auf das SGB VI gesetzt. Diesen Tatbestand verbergen irreführende, von der Wirklichkeit ablenkende Falschinformationen. So stellte die Regierung in der Antwort auf eine Kleine Anfrage der FDP vom 19.03.08[5] fest, dass „für Rentnerinnen und Rentner mit vergleichbarer Erwerbsbiografie in den alten und neuen Ländern ein gleich hohes Rentenniveau hergestellt“ wurde. Der für die Bestimmung der Lebenslage der Rentner entscheidende auf entsprechenden Beschäftigung- und Anwartschaftspositionen beruhende Vergleich der Alterseinkommen von Ost zu West wird nicht durchgeführt.

Damit verschweigt die Regierung dem Bundestag die tatsächlichen Unterschiede Ost zu West. Die von der FDP aufgeworfenen Grundfragen behandelt sie ebenso wenig wie die Tatsache, dass die Alterseinkommen in Ost und West diskriminierend weit auseinander liegen. Für Neurentner aus dem Osten beträgt der durchschnittliche Zahlbetrag derzeit weniger als 680 €[6]. Das gilt u. a. auch für ehemalige Angehörige der technischen Intelligenz der DDR. Lehrerinnen, die in der DDR und anschließend ca. 10 Jahre lang in der Bundesrepublik erfolgreich tätig waren, wird ein Alterseinkommen von ca. 1.000 € monatlich gewährt. Sie erreichen damit 18 Jahre nach dem Beitritt 37% des Alterseinkommens ihrer aus dem Westen stammenden Kolleginnen, die durchschnittlich etwa 2.700 € monatlich erhalten. Auch eine sofortige Angleichung des aktuellen Rentenwertes Ost an West würde dieses Verhältnis nur geringfügig auf 1.135 € zu 2.700 € und damit auf 42% verbessern: Die Diskriminierung bliebe.

Solche Wertungswidersprüche bestehen in allen Bereichen zwischen Ost und West, bei Verkäuferinnen, Balletttänzerinnen, Professoren, Ingenieuren, Facharbeitern, Krankenschwestern, LPG-Bäuerinnen u.a.m. Die Ostrentner verlangen nicht, ihr Alterseinkommen so zu berechnen, als hätten sie ihre Erwerbsbiografie in den alten Bundesländern zurückgelegt. Es geht ihnen um die Anerkennung der Ansprüche, die sie nach den damals geltenden Gesetzen rechtmäßig erworben haben, die nun gemäß dem Einigungsvertrag an die wirtschaftlichen Verhältnisse angepasst und durch die Ansprüche ergänzt werden müssen, die ihnen aufgrund ihrer Leistungen aus der Tätigkeit in der Bundesrepublik zustehen. Ihr nach dem SGB VI i. d. F. des RÜG rückwirkend berechnetes Alterseinkommen erreicht jedoch jeweils nur ca. 30% bis 60% des Alterseinkommens vergleichbarer Westdeutscher[7]. Das benachteiligt die Ostrentner dramatisch hinsichtlich ihrer sozialen Lage und beeinträchtigt durch den dadurch eintretenden Kaufkraftverlust die Wirtschaft, die Entwicklung des Mittelstandes sowie den Aufbau Ost insgesamt.

Die Regierung meint, „dass das anlässlich der Überführung der Ansprüche und Anwartschaften in das bundesdeutsche Recht geltende Recht Ungerechtigkeiten und Diskriminierungen“ nicht enthält. Das hätte auch die höchstrichterliche Rechtsprechung bestätigt. Die Bundesregierung plane daher auch keine Rechtsänderungen[8]. Der für diese Regierungsposition mit verantwortliche Kanzleramtsminister de Maiziere hat bekanntlich schon als Minister im Freistaat Sachsen den Einigungsprozess westlich verklärt dargestellt und undifferenziert erklärt: „Die Rentner sind wirkliche Gewinner der deutschen Einheit“[9].

Dem widersprechen die Ostrentner auf Grund ihrer Erfahrungen mit unzähligen Petitionen an den Bundestag sowie mit Widersprüchen, Klagen, Verfassungs- und Menschenrechtsbeschwerden. Die Verfahrensweise der Regierung enttäuscht auch jene, die mit hohen Erwartungen an den Rechtsstaat in die Bundesrepublik gekommen sind: Auch sie müssen sich nun gegen die durch das RÜG bewirkten unverhältnismäßigen Einbußen und gegen den Verlust der mit ihrer Lebensleistung erworbenen relativen versorgungsrechtlichen „Position innerhalb der jeweiligen Rentnergeneration“ wehren, obwohl diese Position gemäß dem Einigungsvertrag bestandsgeschützt ist, wie das BVerfG in seinem Leiturteil vom 28.4.1999 feststellte (BVerfGE 100, 1, <40, 42, 43>). Wenn die Betroffenen, die nur diskriminierend geringe Renten erhalten, derzeit jedoch bei den Gerichten beantragen, ihnen ein angemessenes Alterseinkommen gemäß dem Einigungsvertrag, dem Grundgesetz und dem o. g. Urteil des BVerfG zu gewähren, raten ihnen Sozialrichter nachdrücklich, ihre Anträge zurücknehmen. Tun sie das nicht, werden ihnen zur Abschreckung Missbrauchsgebühren gem. § 192 SGG in Höhe von 400 € und mehr angedroht bzw. sogar auferlegt! Gegen diesen Rechtsmissbrauch durch Gerichte wendet sich unser Protest.

Wir verlangen von der Regierung, sich der öffentlichen Diskussion über die Alterssicherung Ost zu stellen[10], die bisherige Missachtung der Lebensleistungen der aus der DDR gekommenen Bürger und deren Benachteiligung zu überwinden, der nationalen und internationalen Öffentlichkeit die Wahrheit darüber zu sagen und ein Programm zur schrittweisen Angleichung des Alterseinkommens- und des Lebensniveaus Ost an West zu erarbeiten.

Der Bundestag sollte dazu eine Untersuchungskommission einsetzen, um die Ursachen der rechtsstaatswidrigen Diskriminierung der Ostrentner festzustellen und Wege zur Überwindung der Benachteiligungen herauszuarbeiten. Da weitere Detailkorrekturen des RÜG nicht zur Änderung seines Konzepts führen würden, muss ein „Gesetz zur Revision des Rentenüberleitungsgesetzes und zur Herstellung eines gerechten Alterssicherungsrechts für die beigetretenen Bürger“ geschaffen werden. Damit würde auch ein notwendiger Schritt zur Vorbereitung einer verständlichen gesetzlichen Regelung für eine einheitliche moderne überschaubare Alterssicherung in ganz Deutschland getan werden.

Die Unterzeichner dieser Entschließung werden sich aktiv an einer dem neuen Gesetz zugrunde zu legenden Analyse der Sach- und Rechtslage sowie an dessen Erarbeitung beteiligen: Sie sind keine Bittsteller. Als Betroffene kennen sie die Begründetheit ihrer Forderungen und die Unumgänglichkeit der Veränderung.

Berlin, 09. April 2008
                                                                                               70 Teilnehmer der Koordinierungsberatung


[1] Überarbeitete und ergänzte Endfassung vom 30. April 2008.

[2] Vgl. Kirchlicher Herausgeberkreis Jahrbuch Gerechtigkeit: Zerrissenes Land. Perspektiven der deutschen Einheit. Jahrbuch Gerechtigkeit III. Publik-Forum Verlagsgesellschaft mbH. Oberursel, November 2007.

[3] Vgl. Präambel zur Menschenrechtskonvention über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte vom 16.12.1966, BGBl. 1973 Teil II. S. 1570.

[4] Das geschah mittels der „gesetzlichen Novation“, vgl. K.-H. Christoph, Das Rentenüberleitungsgesetz und die Herstellung der Deutschen Einheit, Berlin 1999, bes. S. 23f. und 159ff. (auch in www.rentenrecht.de: Das Ostrentenbuch in Kapitel I Ziff. 3  bzw. Kapitel VI Ziff. 2).

[5] Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Fraktion der FDP zu „Stand und Bewertung der Rentenüberleitung 18 Jahre nach der Wiedervereinigung“, Deutscher Bundestag Drs. 16/8633 vom 19.03.2008,  in der „Vorbemerkung der Bundesregierung“  auf S. 3.

[6] Berechnet von Dieter Bauer, AK IG-Metall Verwst. Erfurt, DGB-Landesseniorenbeirat Thüringen.

[7] Vgl. die Mandanteninformation 05/06 der Anwälte Dres. Christoph in Internet: www.ostrentner.de in der Rubrik Mandanteninformationen.

[8] Antwort auf die Große Anfrage der Fraktion DIE LINKE „Zum Stand der Deutschen Einheit und der perspektivischen Entwicklung bis zum Jahr 2020“:vom 23.05.07 (Drs. 16/5418, S. 33-34 zu Frage 64).

[9] Vgl. de Maiziere, Kanzleramtsminister, in der Zeitschrift  Neue Justiz  Heft 12/2002 S. 620.

[10] Vgl. Internet: www.ostrentner.de Mandanteninformation 05/06 vom 27.07.06 in der Rubrik Mandanteninformationen.