Frage 15.1.: Brief der Anwälte an die
Bürgerinnen und Bürger, die in
der DDR Alterssicherungsansprüche rechtmäßig erworben haben und vom Bruch des
Einigungsvertrages sowie von den Verwerfungen des Rentenüberleitungsgesetzes
betroffen sind
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BRIEF[1]
Unseren Gegnern, den Schöpfern und Verteidigern des
RÜG ist es jedoch gelungen, die
mit dem RÜG unter Bruch des Einigungsvertrages sowie unter Verletzung des
Grundgesetzes und der Europäischen Menschenrechtskonvention vorgenommene Enteignung
und Diskriminierung der Bürger, die ihre Alterssicherungsrechte in der
DDR erworben haben, durch gezielte Fehlinterpretationen und Irreführung in einigen
wesentlichen Punkten beizubehalten. Unbeschadet der Eingriffe in Alterssicherungsansprüche
einzelner Betroffenengruppen aus der DDR sind wir alle vom RÜG negativ betroffen durch die rückwirkende Festlegung der
Beitragsbemessungsgrenzen Ost, die es zuvor so weder in der DDR noch in
den alten Ländern der Bundesrepublik gegeben hat, insbesondere durch die
monatliche 600-DM-Einkommensgrenze für alle Sozialpflichtversicherten, durch die Reduzierung der übrig gebliebenen
Versichertenrente durch die Rentenberechnung nach den willkürlich bestimmten aktuellen
Rentenwerten Ost und durch den Verzicht auf die schrittweise Angleichung der
Alterseinkommen Ost an West, durch die rückwirkende Einführung des SGB VI, das
Anspruchserwerbstatbestände festlegt, die zu den DDR-Verhältnissen nicht passen,
während die in der DDR vorgesehenen Erwerbstatbestände ebenfalls rückwirkend
aufgehoben wurden, durch die Systementscheidung des RÜG, mit der alle
zusätzlichen, die gesetzliche Rente zur Vollversorgung aufstockenden Ansprüche
liquidiert und die Alterseinkünfte auf eine verminderte Versichertenrente
reduziert wurden, die zum Erhalt des im Beruf erreichten Lebensstandards nicht
ausreicht; das hat den Aufbau Ost bereits erheblich geschädigt. Aus den entsprechenden
Bestimmungen, die den aus der DDR gekommenen Bürgern übergestülpt worden sind[4] und
die den Wortlaut und das Ziel des Einigungsvertrages missachten, ergeben sich
Benachteiligungen für die unterschiedlichen Gruppen der Bestands-, späteren
Zugangs- und Neurentner einschließlich jener, die in der Bundesrepublik weiter
beschäftigt worden sind, aber entgegen den Vorgaben des Einigungsvertrages in
die Versorgungssysteme der Bundesrepublik nicht ordnungsgemäß integriert
wurden. Z. B. betrifft das -
Bestandsrentner/innen mit Auffüllbeträgen – 1992 waren allein das ca. 2.100.000
(!) der insgesamt ca. 4 Mio Rentner/innen –, Rentner/innen mit Übergangs-/
Rentenzuschlägen, vergleichbare Zugangsrentnerinnen, in der DDR Geschiedene und
geschiedene Witwen, -
Beschäftigte des Gesundheits- und Sozialwesen, der Eisenbahn und der Post, -
Professoren alten und neuen Rechts sowie Wissenschaftler, Künstler,
Ballettmitglieder und selbständige Schauspieler, -
Angehörige der technischen Intelligenz, -
Lehrerinnen und Lehrer sowie ehemalige Spitzensportler der DHFK, -
mithelfende Familienangehörige von Gewerbetreibenden und von Bauern, -
wegen in der DDR erlittener beruflicher u. a. Benachteiligungen rehabilitierte
Bürger, -
Anspruchsberechtigte aus der Freiwilligen Zusätzlichen Rentenversicherung u. a.
mehr[5]. Die
ablehnende Haltung des Bundesgesetzgebers gegenüber allen Forderungen der einzelnen
Gruppen haben das so genannte Baumann-Papier[6], das die
Abweisung der einschlägigen Petitionen programmiert hat, sowie Urteile
und Beschlüsse des BSG, des BAG und des Bundesverfassungsgerichts (abgesehen
von den Grundsatzurteilen von 28.4.1999, vgl. BVerfGE 100, 1-194) sowie die
Antwort der Bundesregierung auf die Große Anfrage der Fraktion Die LINKE[7]
signalisiert. Ausweislich der Diskussion über die von der Fraktion DIE LINKE im
Bundestag am 25.04.08 eingebrachten Vorlagen[8] und
auf der Grundlage von Vorlagen für einzelne Gruppen Betroffener durch Vertreter
anderer Parteien im Bundestag, kann das von den Millionen Betroffenen niemals
akzeptiert werden. Intensiv haben sich mit Unterstützung von
Bundestagsabgeordneten einzelne Gruppen, z. B. die Eisenbahner oder die
Beschäftigten des Gesundheitswesens der DDR, ehemalige Spitzensportler der DHFK
oder die Gruppe Geschiedener Witwen bemüht, spezielle Regelungen durchzusetzen
. Dabei hüteten sie sich, angeblich zu kostspielige auch andere betreffende Gesamtforderungen
zu stellen. Heute muss man heute feststellen: Ein isoliertes Vorgehen hat sich als erfolglos
erwiesen: Die für einzelne Gruppen vorgelegten Forderungen wurden zurückgewiesen.
Gemeinschaftlich bzw. koordiniert haben die Betroffenen jedoch noch nicht
versucht, die enteignenden und diskriminierenden Festlegungen des RÜG
anzugreifen, obwohl den Benachteiligungen aller Gruppen die gleichen
Grundpositionen des RÜG zu Grunde liegen. Wenn wir Erfolg haben wollen, gibt es nur einen Weg: Die Betroffenen müssen ausgehend von diesen
Erkenntnissen gemeinsam und solidarisch vor den Gerichten, in der Öffentlichkeit und in den Parlamenten die
Beseitigung derjenigen Grundpositionen des RÜG fordern, die sie alle
benachteiligen. Vom Deutschen Bundestag sollten sie verlangen, mit
einem neuen Konzept ein „Gesetz zur Revision des Rentenüberleitungsgesetzes
und zur Herstellung zu schaffen. Damit würde ein notwendiger Schritt getan
zur späteren Ausgestaltung eines modernen und stabilen Alterssicherungssystems
im Rahmen eines komplexen Gesetzes zur Alterssicherung in Deutschland. Ein solches grundlegendes Gesetzgebungswerk ist
unumgänglich als Reaktion auf die gewaltigen Herausforderungen unserer Zeit zur
Sicherung eines angemessenen Lebensstandards im Alter – auch für diejenigen,
die heute noch den jüngeren Generationen angehören, aber für sich bereits die
Schatten der Altersarmut aufziehen sehen. Einige aktuelle Forderungen haben wir in die
Entschließung unserer Koordinierungsberatung vom 09.04.08 (in der überarbeiteten
Fassung vom 01. Mai 2009) aufgenommen (Anlage). Gleichzeitig weisen wir auf die entsprechende Entschließung
vom 08.06.05 hin, die wir im Internet (www.ostrentner.de und www.rentenrecht.de) öffentlich zugänglich
gemacht haben, sowie auf die Nordhäuser Erklärung, auf unsere im
November 2004 und im Januar sowie im März 2005 vorgelegten drei Offenen
Briefe an Bundeskanzler Schröder und auf andere dort veröffentlichte
Materialien zur Alterssicherung Ost. Das von uns vorgeschlagene Herangehen folgt auch den
Erkenntnissen der 31 Kirchlichen Herausgeber im „Jahrbuch Gerechtigkeit III,
Zerrissenes Land[9].
Danach ist „der Riss zwischen West- und Ostdeutschland noch
längst nicht geschlossen“ (S. 7). „Im Gegenteil, er scheint teilweise sogar
wieder tiefer geworden zu sein und hat in den letzten zehn Jahren zu neuen
Verwerfungen in Ostdeutschland geführt…. Doch Ausmaß und Tiefendimensionen des
sozialen und wirtschaftlichen Gefälles zwischen den alten und neuen
Bundesländern werden von Politik und Öffentlichkeit zunehmend unterschätzt und
dessen Ursachen nur unzureichend bestimmt“ (S. 13). Wir rufen alle Betroffenen und ihre Familien ausgehend
von unserer gemeinsamen Verantwortung als Angehörige der älteren Generationen
in den neuen Ländern für die Gestaltung unseres persönlichen Lebens, für die
Unterstützung unserer Kinder und Enkel und für die Entwicklung der Lebensgrundlagen
in unseren Städten und Gemeinden auf: Packen wir die Probleme der Alterssicherung gemeinsam
an! Setzen wir unsere Ansprüche und Rechte gegen die auf Grundlage des
Rentenüberleitungsgesetzes getroffenen rechtsstaatswidrigen uns
diskriminierenden Entscheidungen mit koordinierten Aktionen durch: Die
Möglichkeiten dafür besitzen wir, wenn sich die Betroffenen auf die Tatsachen
stützen, sich gemäß den Vorschlägen nachhaltig für notwendige Veränderungen
einsetzen, ihr Zusammenwirken zur Schaffung und Durchsetzung der genannten
Gesetze organisieren und die Maßnahmen aktiv durch ihre Mitwirkung unterstützen.
Ingeborg Christoph Karl-Heinz Christoph
NACHTRAG Der Deutsche Bundestag beschäftigt sich gegenwärtig erneut
intensiv mit der Renten- und Versorgungsüberleitung. In der Sitzung am 25.04.08
fand die erste Lesung von 17 Vorlagen statt, die von der Fraktion DIE LINKE aufgrund
der Benachteiligungen zahlreicher Gruppen von Bürgern eingebracht worden sind,
die nach dem Bruch des Einigungsvertrages durch das RÜG von Eingriffen in ihre
Alterssicherungsansprüche betroffen sind (vgl. auch die im Brief oben benannten
Betroffenengruppen). Die Vorlagen wurden in den Bundestags-Drucksachen 16/7019
bis 16/7035 veröffentlicht. Die im Bundestag geführte Diskussion ist
dokumentiert in: Deutscher Bundestag, Stenografischer Bericht, 158. Sitzung vom
25.04.08, Seiten 16709 bis 16722. Die Materialien sind auch über das Internet
zugänglich (www.bundestag.de). Im Ergebnis der ersten Lesung wurden die Vorlagen an
die Ausschüsse des Bundestages verwiesen. Wir halten es für dringend
erforderlich, dass Sie persönlich und Ihre Interessengemeinschaften ebenso wie möglichst
viele Ihrer gleicher Maßen betroffenen Kolleginnen und Kollegen sich an den Bundestag,
die Fraktionen und die Abgeordneten wenden, um den Forderungen Nachdruck zu
verleihen, die längst überfällige gesetzliche Korrektur des RÜG und der
bisherigen Verfahrensweise bei der Renten- und Versorgungsüberleitung vorzunehmen. Adressaten Ihrer Forderungen sind vor allem die
Vorsitzenden und Mitglieder des Ausschusses für Arbeit und Soziales, des
Ausschusses für Familie, Senioren, Frauen und Jugend sowie des Ausschusses für
Verkehr, Bau und Stadtentwicklung (Adresse: Deutscher Bundestag, Platz der Republik
1, 11011 Berlin). Diese Ausschüsse werden in den nächsten Wochen die Vorlage in
ihren Sitzungen behandeln. Es sollte ausdrücklich verlangt werden, zu den
Beratungen Sachverständige, insbesondere auch die Verfasser dieses Briefes,
weitere sachkundige Vertreter/Bevollmächtigte von Betroffenen und Betroffene selbst
einzuladen und anzuhören: Es geht um die Interessen und Rechte von derzeit mehreren
Millionen Betroffenen, die Alterssicherungsansprüche in der DDR rechtmäßig erworben
und in die Bundesrepublik mitgebracht haben bzw. denen bislang eine am
Gleichheitssatz und am Gerechtigkeitsprinzip orientierte Integration in die
Alterssicherungssysteme der Bundesrepublik Deutschland verweigert worden ist. Nur auf Grundlage eines offenen, nicht von Irrtümern, Tabus
und Vorurteilen eingeengten Dialogs der Abgeordneten mit den von den
gesetzlichen Regelungen Betroffenen wird es möglich sein, die Voraussetzungen
für die Vorbereitung und Verabschiedung von Vorschriften zuschaffen, mit denen 18
Jahre nach dem Beitritt und 17 Jahre nach Verabschiedung des
Rentenüberleitungsgesetzes der in der Alterssicherung zwischen Ost und West
bestehende Riss schrittweise geschlossen und endlich auf diesem Gebiet
Rechtsfrieden hergestellt werden kann. Eine solche sich auf den Dialog gründende Verfahrensweise
ist für eine objektive Untersuchung der Probleme in den Ausschüssen auch
deshalb unumgänglich geboten, weil die Diskussion im Deutschen Bundestag leider
eine beschämend unzureichende Kenntnis der Redner aller Fraktionen über den
Inhalt der bisherigen Vorschriften, über die Ursachen und Motive für die Benachteiligung
der aus der DDR gekommenen Bürger, über den tatsächlichen Umfang der Auswirkungen
auf das Alterseinkommen und auf das Lebensniveau der Betroffenen sowie auf die
Wirtschaft offenbart hat. Es ist zu empfehlen, dass Sie den Forderungen
gegenüber dem Deutschen Bundestag auch dadurch größeres Gewicht verleihen, dass
Sie sich mit anderen Betroffenen zu Interessengemeinschaften zusammenschließen
bzw. dass Sie sich bestehenden Interessengemeinschaften anschließen. Ein
Beispiel für eine solche Interessengemeinschaft ist die „Interessengemeinschaft
Renten der Lehrer und Erzieher der ehemaligen DDR (vgl. zu deren Tätigkeit,
Satzung, Mitgliedschaft u. a. m. im Internet unter www.ig-lehrerrenten.de).
Rechtsanwälte
Christoph [1] Ein aktueller Nachtrag wurde nach der Bundestagsdebatte vom 25.04.08 als Anlage (S. 4) aufgenommen! [2] Gesetz zur Herstellung der Rechtseinheit in der
gesetzlichen Renten- und Unfallversicherung (Renten-Überleitungsgesetz -RÜG)
vom 25.7.1991 (BGBl. I S. 1606), das häufig verändert wurde und entgegen seinem Titel ein besonderes
Alterssicherungsrecht Ost begründete. Vgl. Erläuterungen in “Das
Rentenüberleitungsgesetz und die Herstellung der deutschen Einheit”, Hrsg.
Karl-Heinz Christoph u. Ingeborg Christoph, Berlin 1999. [3] Zu
den Erfolgen und Teilerfolgen aus unseren Verfahren, zu den erzwungenen
Änderungen des RÜG sowie zu den verschiedenen genannten Problemfragen finden
Sie in unseren Internet-Seiten zahlreiche Beispiele. Wir bemühen uns darüber
hinaus, die Darlegungen dieses Briefes durch weitere Erläuterungen zu ergänzen. [4]
Schäuble sieht darin einen der größten Fehler im Einigungsprozess (vgl. in
Schäuble, Der Vertrag). [5] Vgl.
dazu die Mandanteninformation 07/2002 vom 21.07.02 u. a. mit dem Entwurf einer
„Entschließung des Bundesrates zur Schließung der verbliebenen
Gerechtigkeitslücken bei der Überleitung der DDR-Renten in bundesdeutsches
Recht“ des Landes Mecklenburg-Vorpommern aus der Drucksache 604/02 des Bundesrats. [6] Vgl.
Abdruck dieses Papiers zur Behandlung von Petitionen im Internet, www.ostrentner.de (dort unter Dokumente: Rentenfragen Ost aus
der Sicht des Petitionsausschusses von dem MdB Günter Baumann). [7]
Ausführlich hat die Bundesregierung eine Große Anfrage der Fraktion DIE LINKE
am 23.05.07 (Drs. 16/5418) sowie – unmittelbar aktuell –eine Kleine Anfrage der
FDP vom 19. März 2008 beantwortet (Drs. 16/8633). [8] Die Fraktion DIE LINKE hat 17 Vorlagen im Deutschen
Bundestag zu zahlreichen Fallgruppen der Renten- und Versorgungsüberleitung
eingebracht (Drs. 16/7019 bis 16/7035). Zur ersten Lesung am 25.04.08 fand dazu
eine umfangreiche Debatte statt (vgl. Deutscher Bundestag, Plenarprotokoll
16/158, 158 Seiten 16711 bis 16722). Die Vorlagen wurden in die Ausschüsse
überwiesen. [9]
Kirchlicher Herausgeberkreis Jahrbuch Gerechtigkeit: „Zerrissenes Land.
Perspektiven der deutschen Einheit“, Jahrbuch Gerechtigkeit III, Publik-Forum
Verlagsgesellschaft mbH, Pf. 2010, 61410 Oberursel November 2007. |
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