Frage 15.1.: Brief der Anwälte an die Bürgerinnen und Bürger, die in der DDR Alterssicherungsansprüche rechtmäßig erworben haben und vom Bruch des Einigungsvertrages sowie von den Verwerfungen des Rentenüberleitungsgesetzes betroffen sind

 

Dr. Karl-Heinz Christoph
Dr. Ingeborg Christoph
Rechtsanwälte

 

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Infos.: www.ostrentner.de
www.rentenrecht.de


Berlin, 08. Mai 2008

 

BRIEF[1]

an die Bürgerinnen und Bürger, die in der DDR Alterssicherungsansprüche rechtmäßig erworben haben und vom Bruch des Einigungsvertrages sowie von den Verwerfungen des Rentenüberleitungsgesetzes betroffen sind.

 


Liebe Kolleginnen und Kollegen, liebe Freunde,


als Rechtsanwälte und vom Rentenüberleitungsgesetz (RÜG)[2] selbst Betroffene haben wir in unseren Auseinandersetzungen über Probleme der Renten- und Versorgungsüberleitung seit 1991 viele Erfahrungen vor den Gerichten – über das Bundesverfassungsgericht bis zum Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte – sowie bei den Parlamenten und Regierungen sammeln müssen. Auf Grundlage unserer Anträge, die in der DDR rechtmäßig erworbenen Alterssicherungsansprüche und -anwartschaften gemäß dem Einigungsvertrag anzuerkennen, hatten wir bei den Gerichten inzwischen bemerkenswerte Erfolge und Teilerfolge[3]. Zahlreiche Gesetzesänderungen zu Verbesserungen des RÜG wurden dadurch erzwungen.

Unseren Gegnern, den Schöpfern und Verteidigern des RÜG ist es jedoch gelungen, die mit dem RÜG unter Bruch des Einigungsvertrages sowie unter Verletzung des Grundgesetzes und der Europäischen Menschenrechtskonvention vorgenommene Enteignung und Diskriminierung der Bürger, die ihre Alterssicherungsrechte in der DDR erworben haben, durch gezielte Fehlinterpretationen und Irreführung in einigen wesentlichen Punkten beizubehalten.

Unbeschadet der Eingriffe in Alterssicherungsansprüche einzelner Betroffenengruppen aus der DDR sind wir alle vom RÜG negativ betroffen

durch die rückwirkende Festlegung der Beitragsbemessungsgrenzen Ost, die es zuvor so weder in der DDR noch in den alten Ländern der Bundesrepublik gegeben hat, insbesondere durch die monatliche 600-DM-Einkommensgrenze für alle Sozialpflichtversicherten,

durch die Reduzierung der übrig gebliebenen Versichertenrente durch die Rentenberechnung nach den willkürlich bestimmten aktuellen Rentenwerten Ost und durch den Verzicht auf die schrittweise Angleichung der Alterseinkommen Ost an West,

durch die rückwirkende Einführung des SGB VI, das Anspruchserwerbstatbestände festlegt, die zu den DDR-Verhältnissen nicht passen, während die in der DDR vorgesehenen Erwerbstatbestände ebenfalls rückwirkend aufgehoben wurden,

durch die Systementscheidung des RÜG, mit der alle zusätzlichen, die gesetzliche Rente zur Vollversorgung aufstockenden Ansprüche liquidiert und die Alterseinkünfte auf eine verminderte Versichertenrente reduziert wurden, die zum Erhalt des im Beruf erreichten Lebensstandards nicht ausreicht; das hat den Aufbau Ost bereits erheblich geschädigt.

Aus den entsprechenden Bestimmungen, die den aus der DDR gekommenen Bürgern übergestülpt worden sind[4] und die den Wortlaut und das Ziel des Einigungsvertrages missachten, ergeben sich Benachteiligungen für die unterschiedlichen Gruppen der Bestands-, späteren Zugangs- und Neurentner einschließlich jener, die in der Bundesrepublik weiter beschäftigt worden sind, aber entgegen den Vorgaben des Einigungsvertrages in die Versorgungssysteme der Bundesrepublik nicht ordnungsgemäß integriert wurden. Z. B. betrifft das

- Bestandsrentner/innen mit Auffüllbeträgen – 1992 waren allein das ca. 2.100.000 (!) der insgesamt ca. 4 Mio Rentner/innen –, Rentner/innen mit Übergangs-/ Rentenzuschlägen, vergleichbare Zugangsrentnerinnen, in der DDR Geschiedene und geschiedene Witwen,

- Beschäftigte des Gesundheits- und Sozialwesen, der Eisenbahn und der Post,

- Professoren alten und neuen Rechts sowie Wissenschaftler, Künstler, Ballettmitglieder und selbständige Schauspieler,

- Angehörige der technischen Intelligenz,

- Lehrerinnen und Lehrer sowie ehemalige Spitzensportler der DHFK,

- mithelfende Familienangehörige von Gewerbetreibenden und von Bauern,

- wegen in der DDR erlittener beruflicher u. a. Benachteiligungen rehabilitierte Bürger,

- Anspruchsberechtigte aus der Freiwilligen Zusätzlichen Rentenversicherung u. a. mehr[5].

Die ablehnende Haltung des Bundesgesetzgebers gegenüber allen Forderungen der einzelnen Gruppen haben das so genannte Baumann-Papier[6], das die Abweisung der einschlägigen Petitionen programmiert hat, sowie Urteile und Beschlüsse des BSG, des BAG und des Bundesverfassungsgerichts (abgesehen von den Grundsatzurteilen von 28.4.1999, vgl. BVerfGE 100, 1-194) sowie die Antwort der Bundesregierung auf die Große Anfrage der Fraktion Die LINKE[7] signalisiert. Ausweislich der Diskussion über die von der Fraktion DIE LINKE im Bundestag am 25.04.08 eingebrachten Vorlagen[8] und auf der Grundlage von Vorlagen für einzelne Gruppen Betroffener durch Vertreter anderer Parteien im Bundestag, kann das von den Millionen Betroffenen niemals akzeptiert werden.

Intensiv haben sich mit Unterstützung von Bundestagsabgeordneten einzelne Gruppen, z. B. die Eisenbahner oder die Beschäftigten des Gesundheitswesens der DDR, ehemalige Spitzensportler der DHFK oder die Gruppe Geschiedener Witwen bemüht, spezielle Regelungen durchzusetzen . Dabei hüteten sie sich, angeblich zu kostspielige auch andere betreffende Gesamtforderungen zu stellen. Heute muss man heute feststellen:

Ein isoliertes Vorgehen hat sich als erfolglos erwiesen: Die für einzelne Gruppen vorgelegten Forderungen wurden zurückgewiesen. Gemeinschaftlich bzw. koordiniert haben die Betroffenen jedoch noch nicht versucht, die enteignenden und diskriminierenden Festlegungen des RÜG anzugreifen, obwohl den Benachteiligungen aller Gruppen die gleichen Grundpositionen des RÜG zu Grunde liegen.

Wenn wir Erfolg haben wollen, gibt es nur einen Weg:

Die Betroffenen müssen ausgehend von diesen Erkenntnissen gemeinsam und solidarisch vor den Gerichten, in der Öffentlichkeit und in den Parlamenten die Beseitigung derjenigen Grundpositionen des RÜG fordern, die sie alle benachteiligen. Vom Deutschen Bundestag sollten sie verlangen, mit einem neuen Konzept ein

„Gesetz zur Revision des Rentenüberleitungsgesetzes und zur Herstellung
eines gerechten Alterssicherungsrechts für die beigetretenen Bürger“

zu schaffen. Damit würde ein notwendiger Schritt getan zur späteren Ausgestaltung eines modernen und stabilen Alterssicherungssystems im Rahmen eines komplexen

Gesetzes zur Alterssicherung in Deutschland.

Ein solches grundlegendes Gesetzgebungswerk ist unumgänglich als Reaktion auf die gewaltigen Herausforderungen unserer Zeit zur Sicherung eines angemessenen Lebensstandards im Alter – auch für diejenigen, die heute noch den jüngeren Generationen angehören, aber für sich bereits die Schatten der Altersarmut aufziehen sehen.

Einige aktuelle Forderungen haben wir in die Entschließung unserer Koordinierungsberatung vom 09.04.08 (in der überarbeiteten Fassung vom 01. Mai 2009) aufgenommen (Anlage).

Gleichzeitig weisen wir auf die entsprechende Entschließung vom 08.06.05 hin, die wir im Internet (www.ostrentner.de und www.rentenrecht.de) öffentlich zugänglich gemacht haben, sowie auf die Nordhäuser Erklärung, auf unsere im November 2004 und im Januar sowie im März 2005 vorgelegten drei Offenen Briefe an Bundeskanzler Schröder und auf andere dort veröffentlichte Materialien zur Alterssicherung Ost.

Das von uns vorgeschlagene Herangehen folgt auch den Erkenntnissen der 31 Kirchlichen Herausgeber im „Jahrbuch Gerechtigkeit III, Zerrissenes Land[9]. Danach ist

„der Riss zwischen West- und Ostdeutschland noch längst nicht geschlossen“ (S. 7). „Im Gegenteil, er scheint teilweise sogar wieder tiefer geworden zu sein und hat in den letzten zehn Jahren zu neuen Verwerfungen in Ostdeutschland geführt…. Doch Ausmaß und Tiefendimensionen des sozialen und wirtschaftlichen Gefälles zwischen den alten und neuen Bundesländern werden von Politik und Öffentlichkeit zunehmend unterschätzt und dessen Ursachen nur unzureichend bestimmt“ (S. 13).

Wir rufen alle Betroffenen und ihre Familien ausgehend von unserer gemeinsamen Verantwortung als Angehörige der älteren Generationen in den neuen Ländern für die Gestaltung unseres persönlichen Lebens, für die Unterstützung unserer Kinder und Enkel und für die Entwicklung der Lebensgrundlagen in unseren Städten und Gemeinden auf:

Packen wir die Probleme der Alterssicherung gemeinsam an! Setzen wir unsere Ansprüche und Rechte gegen die auf Grundlage des Rentenüberleitungsgesetzes getroffenen rechtsstaatswidrigen uns diskriminierenden Entscheidungen mit koordinierten Aktionen durch: Die Möglichkeiten dafür besitzen wir, wenn sich die Betroffenen auf die Tatsachen stützen, sich gemäß den Vorschlägen nachhaltig für notwendige Veränderungen einsetzen, ihr Zusammenwirken zur Schaffung und Durchsetzung der genannten Gesetze organisieren und die Maßnahmen aktiv durch ihre Mitwirkung unterstützen.


Mit freundlichen Grüßen

 

 

Ingeborg Christoph                                                                                   Karl-Heinz  Christoph


Anlagen: Entschließung der Teilnehmer der Koordinierungsberatung vom 09.04.08,
              Kopie einer entsprechenden Entschließung vom 08. Juni 2005.

NACHTRAG
zu unsrem Brief vom 08. Mai 2008:

Der Deutsche Bundestag beschäftigt sich gegenwärtig erneut intensiv mit der Renten- und Versorgungsüberleitung. In der Sitzung am 25.04.08 fand die erste Lesung von 17 Vorlagen statt, die von der Fraktion DIE LINKE aufgrund der Benachteiligungen zahlreicher Gruppen von Bürgern eingebracht worden sind, die nach dem Bruch des Einigungsvertrages durch das RÜG von Eingriffen in ihre Alterssicherungsansprüche betroffen sind (vgl. auch die im Brief oben benannten Betroffenengruppen). Die Vorlagen wurden in den Bundestags-Drucksachen 16/7019 bis 16/7035 veröffentlicht. Die im Bundestag geführte Diskussion ist dokumentiert in: Deutscher Bundestag, Stenografischer Bericht, 158. Sitzung vom 25.04.08, Seiten 16709 bis 16722. Die Materialien sind auch über das Internet zugänglich (www.bundestag.de).

Im Ergebnis der ersten Lesung wurden die Vorlagen an die Ausschüsse des Bundestages verwiesen. Wir halten es für dringend erforderlich, dass Sie persönlich und Ihre Interessengemeinschaften ebenso wie möglichst viele Ihrer gleicher Maßen betroffenen Kolleginnen und Kollegen sich an den Bundestag, die Fraktionen und die Abgeordneten wenden, um den Forderungen Nachdruck zu verleihen, die längst überfällige gesetzliche Korrektur des RÜG und der bisherigen Verfahrensweise bei der Renten- und Versorgungsüberleitung vorzunehmen.

Adressaten Ihrer Forderungen sind vor allem die Vorsitzenden und Mitglieder des Ausschusses für Arbeit und Soziales, des Ausschusses für Familie, Senioren, Frauen und Jugend sowie des Ausschusses für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung (Adresse: Deutscher Bundestag, Platz der Republik 1, 11011 Berlin). Diese Ausschüsse werden in den nächsten Wochen die Vorlage in ihren Sitzungen behandeln.

Es sollte ausdrücklich verlangt werden, zu den Beratungen Sachverständige, insbesondere auch die Verfasser dieses Briefes, weitere sachkundige Vertreter/Bevollmächtigte von Betroffenen und Betroffene selbst einzuladen und anzuhören: Es geht um die Interessen und Rechte von derzeit mehreren Millionen Betroffenen, die Alterssicherungsansprüche in der DDR rechtmäßig erworben und in die Bundesrepublik mitgebracht haben bzw. denen bislang eine am Gleichheitssatz und am Gerechtigkeitsprinzip orientierte Integration in die Alterssicherungssysteme der Bundesrepublik Deutschland verweigert worden ist.

Nur auf Grundlage eines offenen, nicht von Irrtümern, Tabus und Vorurteilen eingeengten Dialogs der Abgeordneten mit den von den gesetzlichen Regelungen Betroffenen wird es möglich sein, die Voraussetzungen für die Vorbereitung und Verabschiedung von Vorschriften zuschaffen, mit denen 18 Jahre nach dem Beitritt und 17 Jahre nach Verabschiedung des Rentenüberleitungsgesetzes der in der Alterssicherung zwischen Ost und West bestehende Riss schrittweise geschlossen und endlich auf diesem Gebiet Rechtsfrieden hergestellt werden kann.

Eine solche sich auf den Dialog gründende Verfahrensweise ist für eine objektive Untersuchung der Probleme in den Ausschüssen auch deshalb unumgänglich geboten, weil die Diskussion im Deutschen Bundestag leider eine beschämend unzureichende Kenntnis der Redner aller Fraktionen über den Inhalt der bisherigen Vorschriften, über die Ursachen und Motive für die Benachteiligung der aus der DDR gekommenen Bürger, über den tatsächlichen Umfang der Auswirkungen auf das Alterseinkommen und auf das Lebensniveau der Betroffenen sowie auf die Wirtschaft offenbart hat.

Es ist zu empfehlen, dass Sie den Forderungen gegenüber dem Deutschen Bundestag auch dadurch größeres Gewicht verleihen, dass Sie sich mit anderen Betroffenen zu Interessengemeinschaften zusammenschließen bzw. dass Sie sich bestehenden Interessengemeinschaften anschließen. Ein Beispiel für eine solche Interessengemeinschaft ist die „Interessengemeinschaft Renten der Lehrer und Erzieher der ehemaligen DDR (vgl. zu deren Tätigkeit, Satzung, Mitgliedschaft u. a. m. im Internet unter www.ig-lehrerrenten.de).


Mit freundlichen Grüßen Ihre

Rechtsanwälte Christoph



[1] Ein aktueller Nachtrag wurde nach der Bundestagsdebatte vom 25.04.08 als Anlage (S. 4) aufgenommen!

[2] Gesetz zur Herstellung der Rechtseinheit in der gesetzlichen Renten- und Unfallversicherung (Renten-Überleitungsgesetz -RÜG) vom 25.7.1991 (BGBl. I S. 1606), das häufig verändert wurde und entgegen seinem Titel ein besonderes Alterssicherungsrecht Ost begründete. Vgl. Erläuterungen in “Das Rentenüberleitungsgesetz und die Herstellung der deutschen Einheit”, Hrsg. Karl-Heinz Christoph u. Ingeborg Christoph, Berlin 1999.

[3] Zu den Erfolgen und Teilerfolgen aus unseren Verfahren, zu den erzwungenen Änderungen des RÜG sowie zu den verschiedenen genannten Problemfragen finden Sie in unseren Internet-Seiten zahlreiche Beispiele. Wir bemühen uns darüber hinaus, die Darlegungen dieses Briefes durch weitere Erläuterungen zu ergänzen.

[4] Schäuble sieht darin einen der größten Fehler im Einigungsprozess (vgl. in Schäuble, Der Vertrag).

[5] Vgl. dazu die Mandanteninformation 07/2002 vom 21.07.02 u. a. mit dem Entwurf einer „Entschließung des Bundesrates zur Schließung der verbliebenen Gerechtigkeitslücken bei der Überleitung der DDR-Renten in bundesdeutsches Recht“ des Landes Mecklenburg-Vorpommern aus der Drucksache 604/02 des Bundesrats.

[6] Vgl. Abdruck dieses Papiers zur Behandlung von Petitionen im Internet, www.ostrentner.de (dort unter Dokumente: Rentenfragen Ost aus der Sicht des Petitionsausschusses von dem MdB Günter Baumann).

[7] Ausführlich hat die Bundesregierung eine Große Anfrage der Fraktion DIE LINKE am 23.05.07 (Drs. 16/5418) sowie – unmittelbar aktuell –eine Kleine Anfrage der FDP vom 19. März 2008 beantwortet (Drs. 16/8633).

[8] Die Fraktion DIE LINKE hat 17 Vorlagen im Deutschen Bundestag zu zahlreichen Fallgruppen der Renten- und Versorgungsüberleitung eingebracht (Drs. 16/7019 bis 16/7035). Zur ersten Lesung am 25.04.08 fand dazu eine umfangreiche Debatte statt (vgl. Deutscher Bundestag, Plenarprotokoll 16/158, 158 Seiten 16711 bis 16722). Die Vorlagen wurden in die Ausschüsse überwiesen.

[9] Kirchlicher Herausgeberkreis Jahrbuch Gerechtigkeit: „Zerrissenes Land. Perspektiven der deutschen Einheit“, Jahrbuch Gerechtigkeit III, Publik-Forum Verlagsgesellschaft mbH, Pf. 2010, 61410 Oberursel November 2007.