FRAGE 11:

Bemerkungen zu Informationen der Regierung über die
Alterssicherung Ost in Materialien für den Deutschen Bundestag


(Jahresbericht der Bundesregierung zum Stand der deutschen Einheit 2007 vom 21.09.07, Deutscher Bundestag, Drs. 16/6500 S. 47, und Rentenversicherungsbericht 2007 vom 22.11.07, Deutscher Bundestag, Drs. 16/7300, bes. S. 15 und Übersichten im Anhang, insbesondere Nr. 12. Die Berichte sind im Internet verfügbar).

 

Die Bundesregierung hat grundsätzliche Einschätzungen zur Alterssicherung Ost in die oben genannten Materialien, in ihren Jahresbericht zum Stand der deutschen Einheit 2007 und in den Rentenversicherungsbericht 2007, aufgenommen.

Wir empfehlen den interessierten Lesern der Berichte, die Feststellungen und Informationen genau zu prüfen, da sie Ausgangspunkte für die weitere Herausbildung der öffentlichen Meinung zur „Rente Ost“ beinhalten. Wir wenden uns dabei gegen die Darstellungen, die den Fakten nicht entsprechen bzw. irreführend sind und Vorurteile im Hinblick auf die Einschätzung der Alterssicherung Ost fördern. Nachfolgend geben wir einige Hinweise aus unserer Sicht; wir wären dankbar, wenn uns die Leser der Berichte und unserer Darlegungen ihre Meinung dazu und andere Auffassungen bzw. kritische Bemerkungen übermitteln würden (siehe in der Rubrik: Kontakt).

 

Entgegen der Darstellung in den Berichten werden „die Renten in alten und neuen Ländern“ werden nicht „nach einheitlichen Grundsätzen berechnet“, wie das im Jahresbericht der Bundesregierung zum Stand der deutschen Einheit 2007 (Unterrichtung durch die Bundesregierung, 21.09.07, Drs. 16/6500, S. 47 in Ziffer „11. Alterssicherung und Gesundheit“) behauptet wird.

Für Bürger mit Alterssicherungsansprüchen und –anwartschaften, die sie rechtmäßig in der DDR erworben haben, gilt ein Sonderrecht Ost, das die Zahlbetragsgarantie des Einigungsvertrages gebrochen, den zugesicherten Bestands- und Vertrauensschutz beseitigt und den Wert der in der DDR rechtmäßig erworbenen Ansprüche und Anwartschaften lebenslang vermindert hat (Vgl. „Das Rentenüberleitungsgesetz und die Herstellung der Einheit Deutschlands“, Christoph, Berlin 1999. Das Buch ist in www.rentenrecht.de vollständig enthalten).

Das Rentenüberleitungsgesetz liquidierte alle Ansprüche aus der SV, der FZR und der AVI der DDR und „ersetzte“ sie durch geringerwertige Ansprüche aus dem SGB VI i.d.F. des RÜG durch die so genannte „gesetzliche Novation“(in dem Buch u. a. S. 170ff). Dazu gehören besondere Beitragsbemessungsgrenzen, besondere aktuelle Rentenwerte und spezielle Anspruchserwerbsfestlegungen, die z. T. über 50 Jahre rückwirkend anzuwenden sind: Die frühere DDR-Situation wird nicht beachtet. Im Ergebnis führt die Verfahrensweise, bei der nur noch die Anspruchserwerbstatbestände des SGB VI gelten, die von dem ehemaligen DDR-Bürgern während des Anspruchserwerbs nicht berücksichtigt werden konnten, zu einer Missachtung der Lebensleistungen und der Versicherungsverhältnisse der aus der DDR gekommenen Bürger.

In den Berichten werden die verfügbaren Eck-(Standard-)Renten der alten Länder mit denen der neuen Länder[1] verglichen und aus der Differenz wird das Verhältnis der Renten Ost zu West berechnet. Die Berechnung ist u. E. fehlerhaft. Das gilt ebenso für den daraus errechneten Verhältniswert:

Der Eck-Rentner Ost kommt nach 45 Jahren nicht auf 45 persönliche Entgeltpunkte Ost – weder tatsächlich noch fiktiv. Auch für jeden einzelnen Rentner ergeben sich die negativen Auswirkungen der besonderen Beitragsbemessungsgrenze Ost, z. B. für Rentner, die in der DDR zu der technischen Intelligenz gehörten, deren Zugehörigkeit jetzt nicht anerkannt wird.

Die Regierungsberechnung berücksichtigt nicht, dass der Eckrentner der neuen Ländern, der über die DDR-Sozialversicherung hinaus keine Zusatzansprüche aus der Freiwilligen Zusatzrentenversicherung oder aus einem Zusatzversorgungssystem wie z. B. der zusätzlichen Altersversorgung für Angehörige der wissenschaftlichen, pädagogischen und künstlerischen Intelligenz (AVI) erworben hat, aufgrund der Kürzung der zu berücksichtigenden Einkünfte in der Zeit vom 01.03.71 bis 30.06.90 auf die besondere Beitragsbemessungsgrenze Ost in 45 Versicherungsjahren nur 40,3751 PEP-Ost erreicht. Der Eckrentner erhält in den alten Ländern[2] 1.182,15 € Rente, in den neuen Ländern jedoch nur auf 932,26 €. Der Verhältniswert verringert sich von 88,1% (Regierungsrechnung) auf den tatsächlichen Wert von 78,86%.

Die Berichte fördern schließlich die irrige Auffassung, ehemalige DDR-Bürger würden mehr Rente erhalten als Bürger der alten Länder. Das beruht einerseits auf dem fehlerhaften Vergleich zwischen den verfügbaren Eckrenten (vgl. oben), andererseits auf der Behauptung, die „günstigere Ost-West-Relation der verfügbaren laufenden Versichertenrenten“ würde „vor allem aus den geschlossenen Versicherungsbiografien der heutigen Rentnerinnen und Rentner in den neuen Ländern“ und aus „vorübergehenden Effekten“ resultieren.

Ursächlich ist dagegen, dass unterschiedliche Bürgergruppen aus Ost und West miteinander verglichen werden: Alle ehemaligen DDR-Bürger, Arbeiter, Angestellte, Volkspolizisten ebenso wie alle Angehörigen der technischen, wissenschaftlichen, pädagogischen und künstlerischen Intelligenz und andere Bürger mit höherem Einkommen werden jener Gruppe Westdeutscher gegenüber gestellt, die gemäß SGB VI Versicherungsrentenansprüche erworben haben: Höhere Einkünfte aus den 6 anderen Bausteinen der Alterssicherung der alten Länder[3] bleiben außen vor.

Ein ehrlicher Vergleich der Alterseinkünfte einschließlich der Versichertenrenten Ost zu West ist nur auf Grundlage der Alterseinkünfte (und nicht beschränkt auf die Versichertenrenten) in Ost und West möglich, und danach liegen die Westdeutschen uneinholbar weit vorn, die zudem noch uneinholbare Vorteile durch andere Vermögenswerte haben, die den Bürgern aus der DDR fehlen. Den Rentnern der neuen Länder wurden entgegen den Zusicherungen des Einigungsvertrages[4] alle Ansprüche auf zusätzliche Alterseinkommen zur Aufbesserung der Versichertenrente ersatzlos genommen.

Kaum ein Bürger kennt allerdings das unüberschaubare Alterssicherungsrecht so, dass er die irreführenden Tricks durchschauen kann.



20.01.07

RA Dres. Christoph



[1] Jahresbericht der Bundesregierung zum Stand der deutschen Einheit 2007 vom 21.09.07, Deutscher Bundestag, Drucksache 16/6500, S. 47, und Rentenversicherungsbericht 2007 vom 22.11.07, Deutscher Bundestag Drs. 16/7300, S. 15 und Übersicht 12 (Anhang).

[2] Ohne die in Übersicht 12 des Berichts (a.a.O.) vorgenommenen Abzüge!

[3] Bausteine der Alterssicherung der alten Länder sind neben der gesetzlichen und knappschaftlichen Rentenversicherung die Versorgungswerke, die Alterssicherung Landwirte, die Zusatzversorgungen im öffentlichen Dienst, die betrieblichen Altersversorgungen, die Beamtenpensionen und die Lebensversicherungen.

[4] „Dass Verbindlichkeiten aus sozialen Sicherungssystemen der Deutschen Demokratischen Republik nicht in voller Höhe zu erfüllen sind, ist im Einigungsvertrag nicht bestimmt. Der Einigungsvertrag spricht vielmehr davon, dass in der Deutschen Demokratischen Republik erworbene Rentenansprüche und –anwartschaften zu überführen sind. Er normiert5 außerdem eine Zahlbetragsgarantie und stattet damit bestimmte in der Deutschen Demokratischen Republik erworbene Rentenansprüche und Rentenanwartschaften auch hinsichtlich ihrer Leistungshöhe mit einem Besitzschutz aus…“ Vgl. bes. das Leiturteil des BVerfG vom 28.4.1999, veröffentlicht u. a. BVerfGE 100, 1 [49]).