Frage 10: |
Wird das Gesetz, das die „Rente mit 67“ einführen soll,
auch
Der Gesetzentwurf, der durch
eine politisch-populistische Propaganda zur Irreführung der Bürger genutzt
wird, liegt im Deutschen Bundestag als „Gesetz zur Anpassung der Regelaltersgrenze
an die demografische Entwicklung und zur Stärkung der Finanzierungsgrundlagen
der gesetzlichen Rentenversicherung (RV-Altersgrenzenanpassungsgesetz)“ vor
(Drucksache des Deutschen Bundestages Nr. 16/3794 vom 12.12.2006, nachzulesen
u. a. im Internet unter www.bundestag.de). In diesem Zusammenhang möchten wir
auf Folgendes hinweisen:
3.1. Das könnte z. B. viele
Bestandsrentnerinnen mit Ansprüchen aus dem Gesundheits- und Sozialwesen, mit
Auffüllbeträgen u. a. m. betreffen, wenn ausgehend von Menschenrechtsbeschwerden
die Zahlbetragsgarantie des Einigungsvertrages auch für Rentner mit SV- und
FZR-Ansprüchen wieder hergestellt und die „Abschmelzung“ der Auffüllbeträge als
menschenrechtswidrig verworfen werden sollte. Solchen Betroffenen würden aufgrund
des neu in § 100 SGB VI einzufügenden Absatzes 4 Nachzahlungen nur dann noch
zustehen, wenn sie die Bescheide angefochten haben und wenn über ihre Anträge
bislang keine endgültige (bzw. von den Betroffenen hingenommene!) Entscheidung
getroffen worden ist: Ihre Bescheide dürfen also nicht bestandskräftig geworden
sein (vgl. in der genannten Drucksache auf Seite 8 Ziffer 30 sowie auf Seiten
30 Ziff. 3 Buchstabe b und 37 „Zu Nummer 30 [§ 100]). Mit dieser Vorschrift soll
zukünftig die Anwendung von § 44 Abs. 4 SGB X ausgeschlossen werden. Der
ermöglicht bislang in vergleichbaren Fällen eine Nachberechnung und Nachzahlung
für den Zeitraum von 4 Jahren, auch wenn bereits ein bestandskräftiger Bescheid
vorlag. Künftig sollen solche Betroffenen keine Nachzahlungen mehr erhalten.
Das gilt auch, wenn sie z. B. aufgrund der Vorhaltungen der jeweiligen
Rentenversicherung, es lägen ja schon Verfassungsbeschwerden oder
Vorlagebeschlüsse vor, darauf verzichtet haben, selbst Widerspruch einzulegen
oder nach dessen Ablehnung den für sie schwierigen und aufwendigen Weg durch
die Instanzen durchzustehen. Ein solcher Verzicht auf die Weiterführung
des eigenen Verfahrens bewirkt also, dass der Anspruch auf Nachzahlungen
künftig verloren geht, auch wenn die Bescheide „auf einer Norm beruhen, die für
nichtig oder für unvereinbar mit dem Grundgesetz erklärt worden ist“
(a.a.O. S. 30). 3.2. In der Begründung zum
Gesetzentwurf wird die Auffassung vertreten, dass mit der Beseitigung der
Wirkungen des § 44 SGB X „das Interesse der Solidargemeinschaft der
Versicherten an Rechtssicherheit und der Erhaltung der Funktions- und
Leistungsfähigkeit der Rentenversicherung gegenüber dem Interesse des einzelnen
an einer möglichst langen Nachzahlungsfrist“ gestärkt wird. Wir sehen eine solche
Regelung als unverständlich und verfassungswidrig an. Die Umsetzung der nun als
verfassungswidrig erkannten Vorschriften bewirkte viele Jahre lang eine
drastische Minderung des Einkommens und beeinträchtigte das Lebensniveau der
betroffenen Bürger und ihrer Familien. Nun sollen die unter Verletzung von
Recht und Gesetz den Betroffenen vorenthaltenen („eingesparten“!) Beträge bei
jenen Behörden verbleiben, die in der Art „williger Vollstrecker“ vorgegangen
sind und die eine sachgerechte Aufklärung und Unterrichtung der Betroffenen
durch fehlerhafte Auskünfte behindert haben. Es ist nicht zu erkennen,
wie die nachträgliche Legitimierung einer solchen Vorgehensweise dem Gemeinwohl
dienen könnte: Es gehört vielmehr zu den Pflichten eines Rechtsstaates und zu
den unverzichtbaren Säulen des Gemeinwohls, dass die Rechte / Ansprüche jedes
einzelnen Bürgers geachtet und dass rechtswidrige Benachteiligungen aufgedeckt,
festgestellt und wieder gut gemacht werden. Auf Kosten einzelner lange Zeit
benachteiligter Mitglieder der Solidargemeinschaft der Versicherten und durch
ein aufgezwungenes Sonderopfer dürfen die Kassen der Rentenversicherung nicht
saniert werden. 3.3. Die vorgesehene Bestimmung
ist daher dazu geeignet, das Vertrauen in den Rechtsstaat, das ohnehin
im Beitrittsgebiet z. B. durch verfassungswidrige Eingriffe in rechtmäßig in
der DDR erworbene Ansprüche unzähliger Bürger auf eine angemessene
Alterssicherung schon dauerhaft geschädigt worden ist (vgl. Grundsatzurteile
des BVerfG vom 28.4.1999, BVerfGE 100, 1-194), noch weiter zu unterminieren
sowie die Enttäuschung der Betroffenen über die Missachtung ihrer
Lebensleistung, des persönlichen Eigentums, des Bestands- und Vertrauensschutzes
zu vertiefen. 3.4. Derzeit versucht die
Deutsche Rentenversicherung Verfahren, die wegen der Missachtung der
Zahlbetragsgarantie des Einigungsvertrages sowie der Schaffung und Abschmelzung
der Auffüllbeträge (entsprechend: Der Renten- und Übergangszuschläge) anhängig
sind und ruhen, weiterzuführen und die Betroffenen zur Rücknahme ihrer Anträge
zu veranlassen. Das kann als vorbeugende Maßnahme aufgefasst werden für den
Fall, dass die von uns eingereichten in Straßburg anhängigen
Menschenrechtsbeschwerden (u. a. Beschwerde Nr. 16619/03, 39081/03, 19341/05,
33316/05 und 10014/06) erfolgreich sind: Wer die Bescheide bestandskräftig
werden lässt, soll Opfer der oben beschriebenen neuen Regelung werden – und die
Nachzahlungen könnten dann „gespart“ werden. 3.5. Den Betroffenen ist zu empfehlen,
nachdrücklich unter Hinweis auf die zu erwartenden Entscheidungen des EGMR zu
verlangen, dass ihre Verfahren in dem jeweiligen Stadium, in dem sie sich
befinden, ruhen gelassen oder vom Gericht ausgesetzt werden. Dabei
sollte ausdrücklich darauf hingewiesen werden, dass vom Europäischen Gerichtshof für
Menschenrechte in einem Urteil vom 22.01.07 beispielhaft sowohl die zu lange
Verfahrensdauer als auch die Unfairness der Verfahrensführung gerügt worden ist
und zur Festlegung einer Wiedergutmachungsleistung geführt hat (vgl. in
www.ostrentner.de die unter „Aktuelles“
veröffentlichte Presseinformation vom 20.02.07 über einen bemerkenswerten
Teilerfolg der Menschenrechtsbeschwerde einer ehemaligen Balletttänzerin aus
der DDR (Musterverfahren KIRSTEN gegen Deutschland, Beschwerde Nr. 19124/02). Auf weitere Maßnahmen, die
den Betroffenen zur Abwehr unfairer Maßnahmen der Deutschen Rentenversicherung
möglich sind, werden wir in den nächsten Wochen hinweisen.
Berlin 28.02.07 Rechtsanwälte Dres. Christoph |